Es war einmal eine Gruppe von Tirolern und Rheinländern. Die zog um 1850 nach Peru, weil sie in ihrer alten Heimat kein Auskommen mehr fand. Die österreichischen Bauern litten unter der Industrialisierung, hohen Steuern, Schulden und Hunger. Zu dieser Zeit warb die peruanische Regierung Immigranten an, um das Regenwaldgebiet zu erschließen und zu besiedeln. Eine Handelsstraße sollte dort entstehen. Die Überfahrt der Siedler im Jahr 1857 dauerte vier Monate. Der längste Teil der Reise lag jedoch noch vor ihnen. Nach Pozuzo sollten sie gehen, entschied die peruanische Regierung bei ihrer Ankunft in Lima. Der Ort liegt etwa 300 Kilometer Luftlinie von Lima entfernt in völliger Abgeschiedenheit im Berg-Regenwald. Mit dem Bus fährt man diese Strecke in 10 Stunden, hoch in die Anden und über den 4800 Meter hohen Ticliopass. Die Siedler von damals brauchten mehr als zweieinhalb Jahre. Als sie in Cerro de Pasco (4300 Meter ü.NN) ankamen, mussten sie feststellen, dass die peruanische Regierung den versprochenen Pfad nach Pozuzo nicht gebaut hatte. Manche trennten sich daraufhin von der Gruppe und suchten ihr Glückk als Arbeiter in einer der vielen Minen. Andere blieben und bauten auf eigene Faust einen Weg durch die Wildnis nach Pozuzo.
Von 400 Menschen, die in Lima starteten, kamen im Sommer 1859 etwa 170 in Pozuzo an. Zehn Jahre später kamen noch einmal 200 Tiroler und Bayern. Dann kam niemand mehr. Zu abgelegen ist der Ort und das Leben war anfangs bei weitem nicht so, wie es den Auswandern versprochen wurde. Es plagten sie Hunger, Krankheit und Heimweh. Aber die Siedler blieben. Einige zogen noch weiter und gründeten die Siedlungen Oxapampa und Villarica. Sie fingen an, Kühe und Schafe zu halten und Mais, Reis, Kaffee und Früchte anzubauen. Vieles in Subsistenzwirtschaft, anderes verkauften sie. Die Wege zu den Märkten waren mehrtägige und beschwerliche Fußmärsche. Eine befahrbare Straße bis Pozuzo gibt es erst seit 1976.
Heute leben die Nachfahren der Siedler gut von der Landwirtschaft – und vom Tourismus. Vor allem Peruaner sind neugierig auf das Tiroler Dorf im Regenwald. Pozuzo bezeichnet sich stolz als die „einzige österreichisch-deutsche Kolonie der Welt“. Folklore wird gehegt und gepflegt, wohlwollende Österreicher Vereine engagieren sich für den Erhalt des Tiroler Dialekts, der immer weniger gesprochen wird. Sie schicken Geldpakete und sorgen sich um das Wohlergehen ihrer weit entfernt lebenden Landsmänner und -frauen. Dabei geht es den Nachfahren der damaligen Siedler besser als so manch anderem Zugewanderten. Sie besitzen die bestgelegenen Ländereien an Flussufern und mit gutem Zugang zu Straßen und nutzen modernste Technologien in der Landwirtschaft. Das hat schon zu einigen Konflikten geführt. Auch das Auftauchen fremder Siedler in einem Gebiet, das vor allem um Oxapampa herum von anderen ethnischen Gruppen wie den Asháninka oder den Yaneshas besiedelt war, verlief anfangs alles andere als reibungslos. Es gab Konflikte um Land und Lebensweisen. Mittlerweile haben sich die verschiedenen Gruppen miteinander arrangiert, die Plurikulturalität der Region ist heute mehr Bereicherung als Belastung.
Wir verbringen eine Woche zwischen grünen Hügeln, Kuhweiden und spitzgiebeligen Häusern in Oxapampa und staunen. Es ist eine spannende Mischung aus den verschiedensten kulturellen Einflüssen – Tiroler Folklore und deutsche Sprachwurzeln im Berg-Regenwald, indigenen Asháninka und Hochlandperuanern aus Huancayo. Die Straßen heißen Mullenbrock und Koch, die Pensionen „Frau Maria Egg“ und „Gästehaus Schmidt“. In den Gaststätten servieren die Oxampampinos Wiener Schnitzel mit Kartoffelsalat und Würstchen. Und Bananenstrudel, weil es nun mal Bananen sind, die im Regenwald wachsen und nicht Äpfel.
Am peruanischen Nationalfeiertag sitzen wir in unserer rustikalen Hütte und sehen im Dorf die Feuerwerkskörper in den Himmel steigen. Zikaden zirpen, Mücken tanzen Pirouetten, die Luft ist angenehm kühl. Musik schallt herüber. „Ja das sind die Musikanten aus dem Zillertal“ jodelt die Band. „Der Anton der macht Umtata…und die Neger spieln an Samba auf und wackln mitm Bauch“. Ach du meine Güte. Zu viel Folklore kann auch doof machen. Wir sind dann lieber ins Bett gegangen.