Einmal in die Nacht und zurück

Eigentlich wollte ich über unsere Reise in den Regenwald schreiben, über die Spuren einer Kolonie von deutschen Siedlern mitten in Peru, wo die Straßen Müller und Schultze heißen und am Straßenrand „Goulash“ verkauft wird. Aber heute gibt es eine andere Geschichte, deren Plot ich mir nie hätte ausdenken mögen. Aber das Leben hat sie uns auf den Tisch geknallt und also soll sie erzählt werden.

Freitag abend. Die Kso it goesinder im Bett, ich im Kino, Babysitterin war da. Komme nach Hause, tschüss Maria. Ab ins Bett. Mattes soll morgens aus Otuzco wiederkommen. Das Wochenende liegt vor uns. Aber dann kommt die Nacht, die mich vor Schmerzen fast zerreißt und hineinkatapultiert in die Notaufnahme. In den OP-Saal. Auf die Intensivstation. Und so gerade wieder zurück.

In der Woche davor war ich müder gewesen als sonst. Hatte etwas Bauchschmerzen gehabt. Kommt vor. Was wir nicht wussten: Ich war schwanger. Aber das Baby saß am falschen Ort, im Eileiter.  Wenn man das nicht rechtzeitig bemerkt, wird es lebensbedrohlich. In meinem Fall sind 3 Liter Blut in den Bauch gelaufen. Darum die höllischen Schmerzen. Im Morgengrauen, als Mattes kam, war ich mehrmals bewusstlos geworden.

Er schnappte sich die Kinder, zog ihnen Jacken über die Schlafanzüge und organisierte einen Rollstuhl. Schob mich in die nahegelegene Klinik. Emergencia. Viele Ärzte beugen sich über mich. Blutentnahme, Schläuche mit Flüssigkeiten, Untersuchungen. Ich kriege keine Luft. Schnelle Blicke zwischen den Ärzten. Sofort in den OP-Saal. Mir ist alles egal. Ich sehe tausendfach sich spiegelnde Ärzte im Aufzug, einen kahlen Raum, grelle Lichter. Zwei Atemzüge und dann wirkt die Narkose.

6 Stunden später wache ich auf. Fühle mich hellwach in einem fremden Körper. Will aufstehen, aber kann nicht. Die Ärztin sagt, ich sei gerade nochmal davongekommen. Wirklich? denke ich. Erst in den darauffolgenden Tagen verstehe ich so langsam, was sie damit meint. Begreife die Tragweite dieser furchtbaren Nacht. Verabschiede mich von dem kleinen Lebewesen in mir, das wir leider nicht kennenlernen konnten. Und schließe vorsichtig die Tür zum Tod in dem Haus, der mein Körper ist.

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Die Reise geht weiter. Danke an alle Weggefährt_innen, die mich bisher begleitet haben. Ich freue mich aufs nächste Wiedersehen und -hören 🙂

Ich bin übrigens wieder zuhause. Muss mich noch viel ausruhen, aber die Wunde verheilt gut. Der Kopf wird noch eine Weile brauchen.

 

 

Lass dich überraschen…

…sang Rudi Carrell vor vielen Jahren. „Schnell kann es geschehn und schon werden Wunder in Erfüllung gehn“. So gesungen, schon geschehen.

P1050670P1050698Als wir vor ein paar Wochen ein paar Sachen zusammenpacken, um das Wochenende im Sommerhaus unseres Vermieters zu verbringen (gracias Edwin!), ist es grau und kühl in der Stadt. Das Haus liegt im Fischer- und Ferienörtchen San Bartolo am Meer, nicht weit von Lima, gleiche Klimazone also. Wir denken an Nordseewetter und packen Mütze, Schal und Gummistiefel ein. Keinen Sonnenhut, keine Sonnencreme, keine Badehosen. Hätten wir mal. Denn als wir nach einer guten Stunde im wahrhaft schönen Sommerhäuschen von Edwin ankommen, lugt die Sonne durch die Wolken. Macht sich ganz breit am irgendwann ganz blauen Himmel. Wir blinzeln ungläubig nach oben. Ziehen Schicht um Schicht unserer Kleidung aus. Kaufen geschwind Sonnencreme. Eine nette Dame leiht den Kindern am Strand Strohhüte. Die Kinder buddeln Burgen. Mattes geht surfen. Eva kriegt Sommersprossen. Alle glücklich. Sommertag im Winter, schubiduuu.

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Im richtigen Sommer, also im Februar, gab es einmal an einem anderen Strand in Lima (Playa Ancón) Proteste gegen die Abschottung der Reichen an den Stränden und die Diskriminierung derjenigen, die nicht zu dieser exklusiven Gruppe von Strandhausbesitzern gehören. An öffentlichen Stränden wie in Ancón, aber auch in Asia und La Punta, wurden Schilder aufgestellt, um unliebsame Besucher fernzuhalten. Seile, Zäune, aber auch Menschenketten und Wachleute  unterteilten den Strand in verschiedene Abschnitte – einer für die reichen Anwohner, einer für den Rest. „El lugar es privado y solo para residentes“ rechtfertigen manche Besitzer der weiß getünchten Sommerresidenzen mit Meerblick dieses Vorgehen, der Strand sei privat und nur Anwohner dürften ihn nutzen. „Aber der Strand ist doch öffentlich“, sagen die anderen, wir haben genauso ein Anrecht darauf, hier zu sein.“

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Apartheid am Strand – ein Seil trennt die Gruppen. Sonnenschirme waren zu diesem Zeitpunkt noch erlaubt. Ancón ist nur einer von mehr als 50 Stränden mit eingeschränktem Zugang für die Normalbevölkerung.

„Con Ollas y Sombrillas“ demonstrierte also eine Gruppe von Menschen im Hochsommer gegen die diskriminierenden Praktiken an den Stränden Limas. Töpfe (als Symbol für Essen) und Sonnenschirme deswegen, da beides am Strand verboten ist – für die gewöhnliche Bevölkerung. Die Anwohner hingegen haben Anspruch auf ihre fest installierten Palmwedel-Sonnenschirme und Liegestuhl-Service durch anliegende Clubs.

Letzen Endes geht es nicht nur um den Strand, um Sonnenschirme oder ob man Essen mitbringen darf. Es geht um tief sitzende rassistische Strukturen in Peru, um Privilegien und Machtverhältnisse, die nicht hinterfragt werden. Es geht um gesellschaftlichen Status aufgrund von Hautfarbe, um eine Gesellschaft, in der Menschen mit dunklerer Hautfarbe vor allem als Hausangestellte arbeiten, als Kindermädchen oder Kellner. Die Zeit des jahrhundertelangen Kolonialismus in Peru, des gesellschaftlich gepflegten Rassismus hat ihre Spuren hinterlassen. Zeit, etwas zu verändern.

Hier der link zu einem Artikel zu diesem Thema auf Plattform für kritische Berichterstattung aus Peru, LaMula.pe

Viel Land in den Händen von Wenigen

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Im Juni hat das Red Muqui mit der Universität San Marcos (Lima) und der Universität Gent (Belgien) eine internationale Konferenz organisiert zum Thema „Luchas Sociales por la Tierra“, soziale Konflikte um Land. Wissenschaftler wie Alberto Acosta und Vertreter sozialer Bewegungen debattierten zwei Tage lang über die Auswirkungen des Raubbaus und Ausverkauf des Landes in Peru und mögliche Alternativen, wie die Solidarische Ökonomie oder die Stärkung der (familiären) Landwirtschaft.

Hier geht es zum Artikel, den wir für die Infostelle Peru geschrieben haben.

Und hier zum Red Muqui-Artikel für Spanisch-Lesende.

Und hier ein Trailer zu einem Filmprojekt „Hija de la Laguna“ der Dokufilm-Gruppe Guarango. „El oro no se come“ – Gold kann man nicht essen. Sehenswert.

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Liebe Freunde, Familie, unseren Blog Lesende

wir sind ein wenig untergetaucht in den letzten Wochen, haben eine Konferenz organisiert, hatten Besuch (danke! Matze und Sanja, Hilde und Rolf, Fabi und Katrin) und waren selbst verreist, erst in den Bergen (Mattes, Jakob und Ronja mit Großeltern), dann in Deutschland (Eva), dann im Regenwald. Jetzt sind alle wieder da. Wir schmeißen unseren Blog wieder an. Werfen noch ein paar Scheite ins Feuer. Es wird langsam kühl in Lima. Habt ihr eine Tasse Tee parat? Oder eine Apfelschorle, falls ihr in Deutschland in der Sommersonne sitzt? Okay. Dann macht’s euch bequem. Gleich geht es weiter.

Peru 231

irgendwo brennt immer noch Licht – Chanchamayo, Selva Central