Obama, Putin, Zuckerberg: Was war los beim APEC?

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Handshake zwischen Chinas Präsident Xi und dem peruanischen Gastgeber Kuczynski

Am vergangenen Wochenende wurde wieder einmal deutlich, in welchen Paralleluniversen wir uns im Alltag, in der Politik, in Lima bewegen. Am 19. und 20. November 2016 fand das 28. Gipfeltreffen der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (APEC) statt. Für den 17. und 18. November wurden Feiertage im Zentrum der Stadt verhängt, sämtliche Kindergärten, Schulen und Büros hatten geschlossen. Während also viele Limeños sich über das unverhofft lange Wochenende freuten und die Stadt verließen, saßen Präsidenten und Wirtschaftsbosse, aber auch Facebook-Gründer Marc Zuckerberg in Lima und sprachen über Handelsabkommen und wirtschaftliche Verflechtungen. Zwischendurch feierte man auch den Día de la Salchipapa, den nationalen Wurst-mit-Pommes-Tag, aber das tut hier eigentlich nichts zur Sache.

Während die Vertreter der 21 Länder des Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsabkommen, nämlich Australien, Brunei, Kanada, Chile, China, Hongkong, Indonesien, Japan, Korea, Malaysia, Mexika, Neuseeland, Papua Neu Guinea, Peru, Philippinen, Russland, Singapur, Taipei, Thailand, die USA und Vietnam  in schickem Ambiente beisammen saßen und über Wirtschaftsinteressen sprachen und Zuckerberg seine Visionen einer vernetzten Welt via WLAN vorstellte, geschahen in Lima folgende Dinge:

Im Zentrum protestierten mehr als 120 indigene Führer (Apus) aus dem Regenwald im nördlichen Departamento Loreto, Vertreter von fast 50 Gemeinden in der Region, gegen die gewaltigen Umweltverschmutzungen in ihren Gebieten. Im letzten Jahr sind immer wieder Erdöl-Pipelines gebrochen und verseuchen Wälder und Flüsse. Seit Monaten protestieren fast fünfzig Gemeinden der Flusseinzugsgebiete der Flüsse Marañón, Tigre, Pastaza, Chambira und Corriente, sie fordern ein Ende der Erdöl-Aktivititäten und Entschädigung für die letzten 40 Jahre exzessiver Ölförderung.

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Proteste in Loreto

Auf den Straßen versammeln sich Menschen, Organisationen, Kollektive und protestieren gegen das geplante Freihandelsabkommen TTP.

Der Bürgermeister von Lima, Luis Castañeda, will eine weitere Straßenüberführung bauen, als Reaktion auf den ausufernden Autoverkehr. Dafür müssten die Bäume und die Fahrradstraße (eine der wenigen) an der Avenida Salaverry weichen. Die Fahrrad-Community in Lima ist entsetzt und organisiert Fahrraddemos.

Der 11-jährige Junge aus der Shipibo-Comunidad von Cantagallo, die vor einigen Wochen komplett abgebrannt ist, ist an den Folgen seiner schweren Verbrennungen gestorben. Castañeda schweigt. Die Comunidad wird wohl weiter auf dem Gelände bleiben – das vorgesehene Gelände für den Umzug war ohne das Wissen der Comunidad anderweitig verkauft worden.

Man wird das Gefühl nicht los, dass sich alles nur ums Geld dreht.

Und so kommt es, dass im wirtschaftlich aufstrebenden Peru der neue Präsident Kuczynski die Gelegenheit nutzt, um sein Land und dessen Ressourcen für Exporte anzubieten. Der chinesische Präsident Xi freute sich und bot gleich mehrere Milliarden Dollar an, um unter anderem in das seit Jahren stillgelegte Projekt Rio Blanco zu investieren. Die Minengesellschaft Rio Blanco Copper S.A. hatte sich aus dem Gebiet zurückgezogen, weil die Bevölkerung strikt gegen den Bergbau war. In einer Bürgerabstimmung im Jahr 2007 hatten 97 % der ländlichen Gemeinden Huancabamba und Ayabaca, die vom Kupferabbau betroffen wären, gegen das Projekt gestimmt. Bis heute befürchten sie, dass das Bergbauvorhaben auf geplanten 20.000 Hektar wichtige Wasserquellen gefährden und Wälder und Hochlandebenen dauerhaft zerstören wird.

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Bergbauregion Piura

Das Problem heute ist: Das peruanische Energie- und Bergbauministerium hat die Wiederaufnahme des Projekt autorisiert, ohne die lokalen indigenen Gemeinden vorher zu konsultieren – die sogenannte Consulta Previa, die fest im Gesetz verankert ist, aber nur selten angewandt wird. Das Projekt Rio Blanco wird daher vermutlich den nächsten großen Bergbaukonflikt im Land verursachen, mit Demonstrationen, Blockaden, vom Staat verhängten Ausnahmezuständen, Verletzen und Schlimmerem. Bereits jetzt ist verstärkt Militär und Polizei vor Ort, unter dem Vorwand, eine Militärbasis zur Grenzkontrolle zu errichten. Die Menschen vor Ort befürchten, dass die Militarisierung der Zone dazu diene, den erneuten Einzug des Unternehmens Río Blanco Copper S.A. zu ermöglichen. Sie befürchten Repressionen und Gewalt seitens des Staates, wenn sie ihr Land und ihre Rechte verteidigen werden.

Die ökomenische Organisation für Entwicklung und Frieden (Fedepaz), Mitgliedsorganisation des Red Muqui, befürchtet, dass das Unternehmen Rio Blanco Copper für sich gute Konditionen schaffen will, um wieder in die Region zurückkehren zu können. Es behaupte, ein modernes Unternehmen zu sein mit entsprechenden Technologien, die keine Verschmutzung verursachten; außerdem böten sie eine Vielzahl attraktiver Jobs im Bergbausektor.

Die Tageszeitung La República zum Thema Río Blanco

Von Nebel, Wind und grünen Hügeln

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Während in Deutschland gerade die Sonne (meistens) scheint und der Sommer noch einige Wochen lang die Menschen beglücken wird  mit langen und lauen Abenden, duftenden Wiesen, Freibadbesuchen, haben wir hier auf der Südhalbkugel Winter. Wir merken das daran, dass wir morgens aus unserer Wohnung im 14. Stock in dichten Nebel gucken. Wir ziehen uns Wollsocken an und Jacken über. Am späten Nachmittag pfeift ein frischer Wind um die Häuser. Nur die Sonne geht immer zur gleichen Zeit auf und unter, daran ändert sich – so nah am Äquator – nichts.

Jetzt, wenn der Nebel über der Stadt wabert, erwachen einige der sonst so staubtrockenen Hügel in Lima zum Leben. Hinter dem bevölkerungsreichen Stadtteil Villa María del Triunfo zum Beispiel liegen die Lomas Verdes de Villa María. 1700 Hektar ist das Gebiet groß, das sich in den Wintermonaten August bis Oktober in eine leuchtend grüne Landschaft verwandelt. Dann setzen sich die Nebelschwaden (das Kondenswasser des Meeres) über den Hügeln ab und schaffen ein natürliches Bewässerungssystem. Nur wenige Kilometer vom staubigen und mit Verkehr vollgestopften Villa María entfernt herrscht hier auf einmal paradiesische Ruhe, die Füße betreten einen weichen grünen Teppich, gesprenkelt mit gelben und orangefarbenen Blumentupfern, darüber flattern Schmetterlinge. Nicht von ungefähr haben die Menschen den Hügeln hier den Namen Lomas del Paraíso gegeben, Paradies-Hügel.

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Paradiesisch ist es hier ansonsten eher weniger. Villa María und die umliegenden Hügel gelten als Rand- und Armutsbezirke. Die Straßen sind unbefestigt, die Hütten aus Pappe, Wellblech und unverputzten Ziegeln gebaut. Aufgerissene Müllsäcke stapeln sich am Straßenrand, ein paar struppige Hunde schnüffeln nach Essbarem.

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Unterwegs mit Alois Kennerknecht, einem kauzigen Agraringenieur aus dem Allgäu, der seit bald 30 Jahren in Peru lebt. Er hat Ministerien und Hilfsorganisationen bei landwirtschaftlichen Projekten in Äthiopien, Madagaskar, Haiti und Paraguay beraten. Mit dem Centrum für internationale Migration und Entwicklung (CIM) hat er Ende der 80er Jahre bei der Rehabilitierung von Terrassen und Kanälen der präinkanischen Bewässerungsanlagen mitgeholfen und Lösungen für Müll- und Abwasserprobleme gesucht, als in den 1990er Jahren in Peru die Cholera ausbrach.

„Das sind keine Armenviertel“, findet Kennerknecht. „Schauen Sie doch mal hin: die Leute sind sauber gekleidet, die haben alle Arbeit.“ Tatsächlich sieht man nicht nur Hütten, sondern auch feste Häuser mit Strom, Gas und fließendem Wasser, Kühlschrank und Fernseher. Es gibt kleine Geschäfte, eine Privatschule und eine Kita, eine Gesundheitsstation. Kennerknecht misstraut mitleidigen Spendern und beamteten Armutsbekämpfern. „Wer den Leuten Geld gibt, macht sie unmündig und passiv“, schimpft er. „Oft verfallen Projekte, weil man auf die nächste Überweisung wartet.“

P1060589In den Hügeln von Villa María nennen sie den 73-jährigen Deutschen nur „den Irren“. Denn Kennerknecht will, dass die Menschen selbst aktiv werden. Armut zu bekämpfen bedeutet für ihn, den Menschen Rechte statt Geld zu geben. Das ist nicht einfach in einer Kultur, wo sich Arme und Reiche darin eingerichtet haben, Almosen zu geben oder zu empfangen und wo Spekulanten damit die Umwelt ruinieren. Seine Touren durch die Vororte stehen inzwischen in drei Reiseführern, sagt er.  Als „Touren durch die Armenviertel“, was Kennerknecht aufregt. Ihn regt ziemlich viel auf.

„Die Politiker versorgen die Leute mit Wohnungen, dafür bekommen sie deren Stimmen“, sagt Kennerknecht. „Vor allem aber profitieren die Spekulanten. Die Besetzer sind oft gar keine Landlosen, sondern übergeben ihr Grundstück an die Bodenspekualten, die traficantes, die es mit hohem Gewinn verkaufen.“ Laut Richard Aguilar, Präsident des örtlichen Comité Ecológico de Defensa de las Lomas Villa María, schüchtern Schlägertrupps die Bürgermeister der Orte ein. „Da regt sich kein Widerstand mehr.“

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Anwohnerin der Hügel von Villa Maria, die die Ausweitung der illegalen Besiedlungen kritisch sieht

Wir fahren hinauf zu Marta, die einen kleinen Comedor (Restaurant) oben auf den Hügeln betreibt und auf dem sandigen Boden Kartoffeln und Salat zieht. Neben ihrem Häuschen steht ein Gerüst, drei Meter hoch und acht Meter lang:  ein Nebelfänger, eine Konstruktion aus Stahlrohr, Netz und einer Membran, um Feuchtigkeit aus der Luft und den Winternebeln zu filtern. Vor einigen Jahren hat die kleine deutsche Organisation Alimón sie bauen lassen, um die verdorrten Hügel wieder ergrünen zu lassen. An sich eine gute Idee: die Nebelfänger übernahmen, was bis vor 100 Jahren die Bäume getan hatten. Zusammen mit den Anwohnern hob man Wasserreservoirs aus, legte Leitungen. „Die Nebelfänger haben 15.000 Liter täglich produziert“, sagt Kennerknecht, „Das hat gut funktioniert.“

lomas1Aber bald waren die Nebelfänger unbrauchbar. Die Anwohner hielten sie nicht in Stand, die Leitungen zerfielen. Vor allem aber störten die Wasserspender die heimlichen Herrscher der Gegend, die Bodenspekulanten. Grüne Hügel, die zu einem Naturschutzgebiet werden könnten, sind ein Hindernis für illegale Siedlungen. Plötzlich vergaßen Bürgermeister ihre Versprechen, Behörden mussten prüfen, Gesetze verzögerten sich. Den deutschen Initiatoren wurde gar am Flughafen die Einreise verwehrt.

Blick ins Tal. Bis zum Horizont haben sich die illegalen Siedlungen von Hügel zu Hügel gefressen. Richard Aguilar deutet nach rechts: „Diese Häuser waren bei unserem letzten Besuch noch nicht da.“ Er erklärt, wie die Landnahme vor sich geht: Menschen besetzen ein Stück Land und bauen provisorische Holzhütten – die Bausätze dafür werden an der Straße verkauft. Wenn die Polizei die Invasion nicht sofort beendet, werden die Besetzer zu Besitzern mit Anspruch auf das Land. Nach fünf Jahren haben sie ein Recht auf Wasser- und Stromleitungen. Alles ist perfekt legal, deshalb hat der Wasserversorger Sedapal drei riesige Wassertanks in das Tal von Bellavista gebaut.

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Die Stadtverwaltung von Lima hat 2013 bei der staatlichen Naturschutzbehörde SERNANP beantragt, das 1700 Hektar große Gebiet in ein Naturschutzgebiet zu verwandeln.  Der Antrag liegt aber seitdem auf der Halde. Wenn Lima weiterhin so rasant wächst und die Hügel hinter Villa Maria immer weiter besiedelt werden, wird sich das Thema irgendwann von selbst erledigt haben.

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Mit dem Zug über die Anden

klIMG_6236Übers Osterwochende habe ich mir einen langgehegten Wunsch erfüllt: einmal mit dem Ferrocarril Central Andino von Lima nach Huancayo, einmal über die Anden, über einen Pass von 4818 Metern, durch 69 Tunnel, über 58 Brücken und 6 Mal Zickzackfahrten, d.h. vor und zurück, vor und zurück mit dem gesamten Zug, um in kürzester Zeit mehrere Hundert Höhenmeter zu überwinden. Da klebt der Zug wie ein Bergsteiger an der Wand.

Früher verkehrte die Bahn als regulärer Personenzug. Seitdem Busse eine schnellere und günstigere Alternative sind, fährt er nur noch acht Mal im Jahr für Touristen. An der Estación de Desamparados, dem Bahnhof von Lima, verabschiedet uns eine Blaskapelle, ein Paar tanzt die Marinera, die Sonne geht gerade auf. Schaukelnd setzt sich der Zug in Bewegung. Laut tutend fährt er durch die Vororte der Millionenstadt, dicht an einfachen Hütten aus Holz und Wellblech vorbei. Autos bleiben stehen, Fenster öffnen sich, Menschen winken uns hinterher, wie einem Schiff, das vorbeifährt und von fernen Ländern erzählt. Der Himmel ist dunstig blau. Dann zuckeln wir hoch ins Tal des Rímac, fort von der Küste. Einmal Lokwechsel in Tornameza (bei der Casa de los Titiriteros), dort ist die Kurve so eng, dass der Zug nicht herumfahren könnte. Wir können ein paar Minuten aussteigen, die Sonne brennt schon, der Weichensteller sagt, es sei jedes Mal ergreifend, den Zug über die mächtigen Anden fahren zu sehen.

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Auf 4800 Meter Höhe an der Station Galera

Vor knapp 110 Jahren Jahren wurde die Bahnstrecke fertiggestellt, nach 27 Jahren mühevoller Arbeit, eine technische Meisterleistung. Im Tunnel Balta schraubt sich der Zug im Berg über 1,5 Kilometer in Form einer Acht Kurve um Kurve nach oben. Die Puente Infiernillo („Kleine Hölle“) verbindet über eine Brücke zwei Tunnel in gegenüberliegenden Bergrücken. Schienen und Brücken wurden, in Teile zerlegt, aus den USA, Frankreich und England herbeigeschifft, ebenso wie später die Lokomotiven und Wagen. Für den Bau wurden zehntausende Arbeiter angeworben, aus Peru, Chile und China. Etliche kamen dabei ums Leben.

Der Zug zuckelt weiter hinauf. Nach vielen Stunden und Tausenden Höhenmetern sind wir in den Hochebenen angekommen, die Luft wird dünner, das Herz pumpt. Viele Mitreisende dösen ein. Am Ticlio-Pass auf über 4800 Meter Höhe fangen die Kleinkinder an zu weinen, manche übergeben sich. Eine Krankenschwester an Bord versorgt sie mit Koka-Tee, einem altbewährten Mittel gegen Höhenkrankheit, und Lutschbonbons. Dann kommen die Schmelzhütten von La Oroya. Wüst sieht die Gegend hier aus, riesige Maschinen, Schlote, staubbedeckte Berge. Hier werden die kostbaren Rohstoffe aus den Minen des Hochlands verarbeitet und eingeschmolzen. Hier zeigt sich das Ausmaß, mit dem die Menschen die Erde ausnehmen wie eine Weihnachtsgans. La Oroya zählte jahrelang zu den am stärksten verschmutzten Städten der Welt. Die Luft ist voller Blei, im Montaro Fluss schwimmt kein Fisch mehr und die Berghänge der Anden sind hier kalkweiß, weil das Schwefeldioxid aus den Schornsteinen der Schmelzhütten alle Bäume, Büsche und das Gras abgetötet hat.klIMG_6302

Die Bahnstrecke Lima-Huancayo ist normalerweise ausschließlich Güterzügen vorbehalten. Jeden Tag fahren Waggons voll mit Kupfer, Zink, Silber hinab nach Lima und verschiffen die wertvollen Erze in alle Welt. Der Hunger nach Rohstoffen ist groß, also bohren sich die Maschinen weiter in die Erde, die Gruben der Minen werden immer tiefer, in manchen Städten (Cerro de Pasco) fällt die Stadt fast in den Abgrund der Minen hinein.

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Nach insgesamt 13 Stunden Fahrt erreichen wir Huancayo auf 3271 Meter Höhe. Der Kopf ist voller Bilder, die Augen brennen vor Müdigkeit, es pocht dumpf an den Schläfen. Ich bin angekommen.

Wenige Tage später fahre ich die ganze Strecke wieder zurück. Auch jetzt schaukelt der Zug wie ein Ozeandampfer durch grüne Täler und wüste Berglandschaften. Hier wirkt er noch wie ein Fremdkörper, ein schnaufender Wurm vor gewaltigen Bergrücken, die Tausend Jahre alt sind. Bald aber zuckelt er hinab in die Tiefe, 4800 Meter hinunter an die Küste, bis er sich schließlich im Gewühl von Lima verliert.

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Fronteras Ambientales – Reportagen aus dem Regenwald

P1060215Erinnert ihr euch noch an die Recherchereise in den Regenwald? Journalismus-Studierende waren im Rahmen des Projekts „Amazonas-Reporter“ im September 2015 eine Woche lang in Nauta (Provinz Loreto) und Lamas (San Martín) unterwegs gewesen und hatten zu Umwelt- und sozialen Themen aus dem Amazonasgebiet recherchiert. Im Dezember endete das Projekt. Auf der Abschlussveranstaltung im Hotel San Blas debattierten die Journalist*innen Barbara Fraser, Ernesto Raéz und Nelly Luna über die Frage „Qué es y por qué hacer periodismo ambiental“ – Was ist Umweltjournalismus und wofür brauchen wir ihn?

Nun sind die Reportagen der 16 Nachwuchsjournalist*innen fertig, auf der dafür entstandenen Webseite Fronteras Ambientales kann man sie (auf spanisch) lesen. Einige Texte haben Hildegard Willer (Journalistin) und ich für die Infostelle Peru ins Deutsche übersetzt. Darunter ist eine besonders eindrückliche Reportage über ein Thema, über das kaum jemand etwas weiß, geschweige denn spricht: übermäßig viele Selbstmorde von indigenen Jugendlichen im Regenwald. Eine Geschichte über den Verlust kultureller Wurzeln. Hier geht es zum Text.

Aerial_view_of_the_Amazon_Rainforest 220px-Amazonas_floating_village,_Iquitos,_Photo_by_Sascha_Grabow

 

Wie David gegen Goliath

1911740_10202008617993238_1323315613_n - copiaDie indigene Bäuerin Máxima Acuña Chaupe aus Cajamarca kämpft seit Jahren gegen die Goldmine Yanacocha. Im Dezember 2014 wurde sie vom Höchstgericht freigesprochen. Die Drangsalierung durch Yanacocha geht weiter. Eine Chronologie der Ereignisse

Máxima Acuña Chaupe wirkt mit ihren 1,50m Körpergröße, dem Mittelscheitel und den langen Zöpfen, wie sie die indigenen Frauen im Andenhochland tragen, auf den ersten Blick eher mädchenhaft. Der Eindruck täuscht. Sie wird ihrem Namen – die Größte – mehr als gerecht. Seit bald vier Jahren kämpft die Bäuerin aus der Region Cajamarca im Norden Perus gegen die peruanische Bergbaufirma Yanacocha, die das Land kaufen will, auf dem Máxima mit ihrer siebenköpfigen Familie lebt. Ein Rechtsstreit, der sinnbildlich für den Schulterschluss von Regierung und Unternehmen steht und die fehlenden Rechte der Zivilbevölkerung.

Symbol für den Widerstand

In den letzten Jahren ist Máxima Acuña Chaupe zum Symbol für den Widerstand gegen die skrupellosen Methoden bei der Goldförderung in Peru durch internationale Unternehmen, Armee und Nationalstaat geworden. Vor vier Jahren begann der Streit um das Land, auf dem Máxima lebt. Denn Máxima sitzt buchstäblich auf einem Berg voll Gold. Das Bergbauunternehmen Yanacocha hatte auf dem Andenhochplateau der peruanischen Region Cajamarca bereits 5400 Hektar Land an der Blauen Lagune rund um das Dorf Sorochuco aufgekauft. Auch die vier Hektar Grundbesitz Acuñas werden für die Erweiterung der 260 Quadratkilometer großen Yanacocha-Mine gebraucht – die größte Goldmine Lateinamerikas und die zweitgrößte weltweit. Aber Máxima Acuña lehnte das Kaufangebot des US-Konzerns Newmont Mining ab. Sie lebt, wie 60 Prozent der Bevölkerung in dieser Gegend, vom Landbau. Kartoffeln, Yuca, Weizen und Hafer wachsen auf dem fruchtbaren Boden, das restliche Land nutzt sie als Weide für das Vieh. „Ich bin in Sorochuco geboren und aufgewachsen“, sagt sie, „ich habe mein Land in der Hoffnung gekauft, mein ganzes Leben dort zu verbringen“. Also blieb sie. Yanacocha ließ sich das nicht gefallen. Bald tauchte Minenpersonal auf, unterstützt von Polizisten in Uniform. Es gab Morddrohungen, Prügel, ihr Vieh verschwand oder wurde getötet. Der Angriff auf die Landwirtschaft der Bäuerin wurde nicht geahndet. Im Gegenteil: Obwohl Máxima – anders als die Minengesellschaft – eine Besitzurkunde über ihr Land in den Händen hält, verklagte Yanacocha sie des Landfriedensbruchs.

Skrupellose Methoden

2011 versuchte Yanacocha, eine Straße durch das Land Máximas zu bauen. foto-blog-lynda-iiMáxima zeigte das Unternehmen an, aber die Staatsanwalt legte die Geschichte direkt ad acta. Im Sommer desselben Jahres verschafften sich Sicherheitsbeamte Yanacochas mit Unterstützung der Polizei gewaltsam Zutritt zu Máximas Hof. Die Beamten schlugen und misshandelten die Familie. Máxima wehrte sich gegen die Enteignung ihres Landes, erstattete Anzeige und ging vor Gericht. Aber das Oberste Gericht in Cajamarca gab am 5. August 2014 der Firma Yanacocha recht. Máxima, ihr Ehemann Jaime, ihre Tochter Ysidora und Schwiegersohn Elías Chavez wurden zu zwei Jahren und acht Monaten Bewährungsstrafe und einer Entschädigung von 5500 Soles (etwa 1500 Euro) an den Minenkonzern verurteilt. Die Anwältin der Familie, Mirtha Vazquez, legte dagegen Berufung ein. Bis heute hält die 44-jährige Máxima trotz aller Drohungen Stellung auf ihrem Stück Land, einer Insel inmitten von Yanacocha-Land. Es ist ein Kampf wie die Gallier gegen die Römer, wie David gegen Goliath.

„Ja zum Wasser – Nein zum Gold“

Das Urteil gegen die Familie Chaupe löste in der peruanischen und lateinamerikanischen Öffentlichkeit große Betroffenheit aus, aber auch viel Sympathie für die Verurteilten. In den sozialen Netzen häufen sich die Solidaritätsbekundungen, es gibt Demonstrationen in der Hauptstadt, offene Briefe an die Regierung und generell viel Rückhalt aus der Bevölkerung. Máxima Chaupe ist zum Symbol des Widerstands gegen die Praktiken der Goldkonzerne in Peru geworden. „Ja zum Wasser! Nein zum Gold“ lautet der Slogan der Protestbewegung, der auch auf dem Alternativgipfel zur Weltklimakonferenz, der jüngst in Lima stattgefunden hat, zu hören war. Máxima bezeichnet sich selbst als Beschützerin des Wassers. „Wasser bedeutet Leben“, sagt sie, „das können wir nicht einfach an ein Unternehmen verkaufen“.

Kein Raum für Kritik

Die Macht der Akteure ist in Peru sehr ungleich verteilt. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) zeigte Ende 2013 zusammen mit peruanischen Organisationen auf, wie Rohstofffirmen mit meist unter Verschluss gehaltenen Verträgen jederzeit Einsätze der Nationalpolizei gegen die Bevölkerung beantragen können. Die Rohstofffirmen unterstützen die Einsätze finanziell, materiell und logistisch. Staatliche und wirtschaftliche Interessen verbünden sich damit gegen die Interessen der lokalen Bevölkerung. Eine Lösung des Konflikts rückt in weite Ferne.

Gegen Widerstand aus der Zivilbevölkerung geht die Regierung hart vor. Bereits 2004 hatte es wegen der Umweltbelastungen durch den offenen Tagebau heftige Protestdemonstrationen in der Bevölkerung gegeben, woraufhin Newmont – mit Buenaventura und der Weltbank größter Aktionär der Mine – erklärte, dass es vorläufig keine weiteren Erkundungen in der Region geben würde. Im Sommer 2012 rief die Bevölkerung Cajamarcas zu einem Generalstreik auf. Der Präsident Ollanta Humala verhängte daraufhin den Ausnahmezustand über drei Provinzen und ließ die Demonstrationen gewaltsam unterdrücken. Fünf Menschen wurden von der Polizei erschossen, Dutzende verletzt oder willkürlich verhaftet. In den vergangenen drei Jahren wurden bei Demonstrationen bereits 41 Menschen erschossen. Das peruanische Gesetz aber sagt Polizisten, die im Dienst Zivilisten erschießen, Straffreiheit zu.

Die Unternehmen, unterstützt durch die Regierung, diktieren die Spielregeln – und auch, wie über sie berichtet werden. Mitte Februar wurde der Journalistin Martha Meier Miró Quesada von der Tageszeitung „El Comercio“ gekündigt, weil sie in einer Kolumne allzu kritisch über die Machenschaften Yanacochas und seine Übergriffe gegen die Bäuerin berichtet hatte. Der ehemalige Antikorruptionsbeauftragte des Landes, Julio Arbizu, warnte, dass die Zensur und der Rauswurf der Journalistin deutlich zeige, wie die Tageszeitung nach ökonomischen Interessen handele und nicht im Sinne der Pressefreiheit. Marktfreiheit vor Pressefreiheit – Tatsache in einer vom Kapitalismus durchdrungenen Welt.

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Der Fall der Familie Chaupe. Infografik von Grufides und Coordinadora Nacional de Derechos Humanos

Freispruch für Máxima – aber Yanacocha kämpft weiter

Máximas Geschichte geht folgendermaßen weiter. Nach Monaten von Verhandlungen sprach das Höchste Gericht in Cajamarca kurz vor Weihnachten 2014 Máxima Acuña von den Anklagepunkten frei. Die Freude über diese Nachricht währte nicht lang. Am 3. Februar 2015 betraten Sicherheitskräfte der Firma Yanacocha und der peruanischen Spezialeinheit DINOES das Gelände der Familie Acuña und zerstörte einen Anbau. Als Grund nannten sie die ungeklärte Rechtslage. Einige Tage später errichteten Mitarbeiter Yanacochas in Sichtweite der Familie ein Alpaca-Gehege – als Beitrag für eine nachhaltige Entwicklung – und installierte rundherum eine Reihe von Überwachungskameras. Dass es dem Unternehmen mehr um die Überwachung der Familie geht, liegt auf der Hand.

Massive Umweltbelastungen durch den Goldabbau

Nachhaltige Entwicklung ist nicht gerade eine Spezialität von Yanacocha. Seit 19 Jahren betribt Yanacocha Goldabbau im Tagebau in Cajamarca und steht unter ständiger Kritik seitens Menschenrechts- und Umweltorganisationen. Auch der geplante Bau der Conga-Mine hätte massive Eingriffe in die Umwelt zur Folge: Bergseen würden verschwinden, Wasser verseucht und die Lebensgrundlage von Menschen und Tieren bedroht. Bei der Produktion im Tagebau wird doppelt so viel Land als die eigentliche Größe der Mine vernichtet: Denn das goldhaltige Gestein wird bis zu 660 Meter tief abgetragen – und dann in riesigen Gebirgsflächen aufgeschüttet. Bei der gewaltigen Yanacocha-Mine sind das mehr als 500.000 Tonnen Gestein pro Tag.
Das Gold wird mit einem Zyanid-Wasser-Gemisch gelöst, wofür pro Stunde 250.000 Liter Wasser benötigt werden. Das hat zur Folge, dass es in der Landeshauptstadt Cajamarca nur noch zwölf bis 14 Stunden Leitungswasser pro Tag gibt. Gleichzeitig werden Schwermetalle wie Arsen, Kadmium und Blei freigesetzt. Diese sind auch noch in zehn Kilometern Entfernung nachweisbar. Untersuchungen, die nach 20 Jahren Betrieb der Mine Yanacocha vor kurzem erstmals durchgeführt wurden, ergaben, dass die rund 200.000 Einwohner Cajamarcas über Jahre hinweg verseuchtes Wasser getrunken hatten.

„Wir tun alles, um Umweltbelastungen zu vermeiden“, versichert der Yanacocha-Betreiber, „wir halten uns an die Gesetze“. Die Gesetze werden allerdings immer mehr zu Gunsten der freien Wirtschaft formuliert. Erst im vergangenen Sommer unterschrieb der peruanische Präsident Ollanta Humala ein neues Umweltgesetz, mit dem die Strafen bei Umweltvergehen deutlich reduziert werden. Umweltverträglichkeitsprüfungen sind nun innerhalb von 45 Tagen abzuschließen – eine lächerlich kurze Zeit- und Bergbau und Erdölproduktion auch in Naturschutzgebieten erlaubt.

Neben den massiven direkten Umweltschäden verursachen Goldminen im Tagebau auch einen riesigen Bedarf an Energie. Allein die Yanacocha-Mine hat einen doppelt so hohen Energiebedarf wie die peruanische Stadt Trujillo mit 700.000 Einwohnern.

Ausblick

Angesichts dieses Szenarios wird Máxima weiterkämpfen. „Mein Schweiß steckt in jedem Zentimeter Land“, sagt sie. Das werde sie sich nicht von Yanacocha wegnehmen lassen. „Die Behörden können sagen was sie wollen, ich werde mein Land nicht weggeben“.

Sie beklagt, dass das Unternehmen Yanacocha nie auf sie direkt zugekommen sei, um mit ihr zu sprechen oder zu verhandeln. Vieles erfahre sie erst durch die Medien und vieles davon seien schlichte Unwahrheiten. Unterstützung erfährt sie vor allem aus der Zivilbevölkerung und durch die peruanische Nichtregierungsorganisation Grufides in Cajamarca, bei der auch die Anwältin der Familie, Mirtha Vazquez, arbeitet. „Todos somos Máxima“, heißt es auf dem Blog der NGO. Hoffen wir, dass sich die Hartnäckigkeit der kleinen großen Máxima am Ende auszahlen wird. Es wäre ihr zu wünschen.

Zum vollständigen Artikel hier, erschienen in Lateinamerika Nachrichten März 2015

Doku „Los guardianes y guardianas del agua” (Ausschnitt) Asociación Guarango