Das Herz tanzt Hula Hula

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In diesen Tagen erreichen uns viele schöne Nachrichten von unseren Lieben in Deutschland. Freundinnen sind schwanger, Geschwister und Cousinen bekommen Babys, Freunde heiraten. Wir freuen uns wie Bolle darüber. Das Leben! Die Liebe! Egal wie weit wir weg sind, wir sind in Gedanken dabei. Es gibt ja noch Skype und Whatsapp und Telefone und Emails und gelegentlich sehen wir uns ja auch, ungefähr einmal im Jahr.

Aber dann liegt eben doch ein großer Ozean zwischen uns. 11.096 Kilometer zwischen Lima und Berlin. Letzte Woche, als wir einen spanischen Film schauten, haben wir zum ersten Mal bewusst den spanischen Ausdruck für „dich vermissen“ wahrgenommen, „echarte de menos“. (Sagt das etwas aus, dass wir das Wort vorher fast nie gehört/benutzt haben?) Wir vermissen uns natürlich gegenseitig, wenn einer von uns auf Reisen ist, aber dann benutzen wir den Ausdruck auf deutsch und nicht auf spanisch. Während wir also wieder ein neues Wort in unseren Spanisch-Wortschatz integrieren dürfen (neben „felpudo“/Fußabtreter, „renegón“/gemein und „Asu mare“/ugs. Wow, Mannometer, Donnerlittchen (Jakob), spüren wir in diesem dritten Jahr unserer Zeit in Peru mitunter, dass elftausend Kilometer wirklich weit sind. Wir leben auf der anderen Seite der Erdkugel. Wir leben in einer völlig anderen klimatischen Zone. Der Mond hängt anders am Himmel. Es ist Sommer, wenn bei euch Winter ist. Zwar können wir heute einfach ins Flugzeug steigen und in 15 Stunden diese immense Entfernung überwinden. Aber die reale Entfernung bleibt. Vor hundert Jahren hätten wir Wochen gebraucht, um nach Deutschland zu kommen, über Berge und Täler und ein gewaltiges Meer, mit Schiffen und Zügen und Kutschen und zu Fuß.

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In einem anderen Beitrag schrieben wir einmal, dass das Schöne am Leben im Ausland das langsame Werden eines Zuhauses ist. Dinge, die fremd waren, werden vertraut. Fremde werden zu Freunden. Aber die Freunde in der alten Heimat sind ja auch noch da, und die Familie. Und je länger wir in Peru sind (und wir werden noch weitere zwei Jahre bleiben), desto mehr wissen wir jedes Wiedersehen zu schätzen. Wissen, wie besonders der Kaffee mit Schnack mit der Freundin ist, die wir erst ein Jahr später wiedersehen werden. Wissen nicht, ob wir die bald 97-jährige Großmutter beim nächsten Besuch noch antreffen. Versuchen, uns Momente gedanklich einzugravieren, in denen wir mit Eltern und allen Geschwistern an einem Tisch sitzen, oder mit der Freundin in der Hängematte ihres Schrebergartens schaukeln, oder auf dem Tempelhofer Feld sitzen mit der alten Crew, bis die Sonne untergeht. Manchmal vermissen wir kleine Details und Anekdoten, die in Deutschland vielleicht gar nicht so ein Gewicht hätten. Wie gut sich die Wiedersehens-Umarmungen anfühlen am Flughafen, und wie bittersüß beim Abschied.

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Dann wieder Koffer packen, Schätze einpacken (Vollkornbrot, Käse, Straßenmalkreide, Sonnencreme von DM…) und nicht sicher sein, ob wir traurig sein oder uns freuen sollen, dass wir in unser anderes Zuhause zurückgehen. Aber dann ist es so, wie Jakob beim letzten Abschied aus Deutschland sagte: mein Körper lacht von innen, weil ich mich so freue. Gestern sagte er beim Wiedersehen mit Mattes, der beruflich eine Woche unterwegs war: ich bin ganz aufgeregt, mein Herz tanzt Hula Hula!

Denn das Leben in der Ferne ist vor allem auch das: ein großes Abenteuer. Volle Pulle Leben. Risiken eingehen. Einen Fuß an einem Ort haben und den anderen Fuß anderswo. Einen inneren Kampf eingehen zwischen Träumen (jetzt oder nie!) und Gefühlen (und unsere Lieben daheim?)

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Manchmal wollen wir uns beamen können, zum Geburtstag von Cousin Luca, zur Geburt des Neffen Henri, zur Hochzeit der Freundin Liane, zum Mädels-Wochenende mit Bulli am Strand in Holland. Das Leben in der Ferne, das bedeutet Denken in Zeitzonen, das sind Geburtstagsanrufe per Skype, die Erinnerungsschnipsel, wenn man etwas hört oder sieht oder riecht und dann die Freundin, den Bruder, die Oma vor Augen hat. Die Entfernung lehrt dich, auf eigene Faust zu leben. Zu sein. Gute und schlechte Tage zu haben. Tage, in denen wir die Koffer packen und gehen wollen und Tage, in denen wir in diese gigantische Stadt blicken, tausend Lichter, funkelnder Pazifik, warme Luft, wir bleiben für immer! Die Entfernung lehrt dich, geduldig zu sein. Wahre Freundschaften zu erkennen. Zu sehen, dass es eine räumliche Entfernung zwischen uns gibt, aber keine emotionale. Wir sind in Gedanken bei allen schönen Momenten dabei, bei Hochzeiten, Geburten, Geburtstagen, wir sitzen unsichtbar auf euren Schultern und kraulen euch das Ohr, wir sitzen in Miniaturversionen auf dem Kuchenbuffet der Familienfeiern und schlemmen mit, wir tanzen mitten unter euch auf dem Dancefloor, unsichtbar, aber wenn ihr genau hinschaut, seht ihr uns, bailando 🙂

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Und weil die Flamenco und Streetdance Tanz-Einlagen so schön sind, hier das komplette „Bailando“-Video des Schnulzen-Pop-Sängers Enrique Iglesias für euch. Les echamos mucho de menos!

Am Hafen

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Morgens in Los Organos. Stundenlang auf der alten Mole sitzen. Den ankommenden Fischkuttern zuschauen, wie sie ihren Fang ausladen. Ein Geruch von Salz und Tang, Wind in der Luft. Die Fische wandern vom Deck in Kisten, und zack auf die Mole, da wird gewogen und gerechnet und gerufen, cuantos kilos? Dos más! Apurense! Die Fische starren gleichgültig und mit glasigen Augen in den blauen Himmel, bald geht es weiter ins Kühlhaus und ins Restaurant nebenan, heute gibt’s mal wieder Ceviche, habe ich schon erwähnt, dass Ceviche das peruanische Nationalgericht ist? Schmeckt fabelhaft. Manche Fische reisen weiter nach Máncora, Piura oder Lima, einige gar ins Ausland. Im Wasser paddelt eine Schildkröte vorbei. Wollense einen Fisch, junger Mann? Könnense gleich mitnehmen. Frischer gehts nicht.

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Von Nebel, Wind und grünen Hügeln

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Während in Deutschland gerade die Sonne (meistens) scheint und der Sommer noch einige Wochen lang die Menschen beglücken wird  mit langen und lauen Abenden, duftenden Wiesen, Freibadbesuchen, haben wir hier auf der Südhalbkugel Winter. Wir merken das daran, dass wir morgens aus unserer Wohnung im 14. Stock in dichten Nebel gucken. Wir ziehen uns Wollsocken an und Jacken über. Am späten Nachmittag pfeift ein frischer Wind um die Häuser. Nur die Sonne geht immer zur gleichen Zeit auf und unter, daran ändert sich – so nah am Äquator – nichts.

Jetzt, wenn der Nebel über der Stadt wabert, erwachen einige der sonst so staubtrockenen Hügel in Lima zum Leben. Hinter dem bevölkerungsreichen Stadtteil Villa María del Triunfo zum Beispiel liegen die Lomas Verdes de Villa María. 1700 Hektar ist das Gebiet groß, das sich in den Wintermonaten August bis Oktober in eine leuchtend grüne Landschaft verwandelt. Dann setzen sich die Nebelschwaden (das Kondenswasser des Meeres) über den Hügeln ab und schaffen ein natürliches Bewässerungssystem. Nur wenige Kilometer vom staubigen und mit Verkehr vollgestopften Villa María entfernt herrscht hier auf einmal paradiesische Ruhe, die Füße betreten einen weichen grünen Teppich, gesprenkelt mit gelben und orangefarbenen Blumentupfern, darüber flattern Schmetterlinge. Nicht von ungefähr haben die Menschen den Hügeln hier den Namen Lomas del Paraíso gegeben, Paradies-Hügel.

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Paradiesisch ist es hier ansonsten eher weniger. Villa María und die umliegenden Hügel gelten als Rand- und Armutsbezirke. Die Straßen sind unbefestigt, die Hütten aus Pappe, Wellblech und unverputzten Ziegeln gebaut. Aufgerissene Müllsäcke stapeln sich am Straßenrand, ein paar struppige Hunde schnüffeln nach Essbarem.

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Unterwegs mit Alois Kennerknecht, einem kauzigen Agraringenieur aus dem Allgäu, der seit bald 30 Jahren in Peru lebt. Er hat Ministerien und Hilfsorganisationen bei landwirtschaftlichen Projekten in Äthiopien, Madagaskar, Haiti und Paraguay beraten. Mit dem Centrum für internationale Migration und Entwicklung (CIM) hat er Ende der 80er Jahre bei der Rehabilitierung von Terrassen und Kanälen der präinkanischen Bewässerungsanlagen mitgeholfen und Lösungen für Müll- und Abwasserprobleme gesucht, als in den 1990er Jahren in Peru die Cholera ausbrach.

„Das sind keine Armenviertel“, findet Kennerknecht. „Schauen Sie doch mal hin: die Leute sind sauber gekleidet, die haben alle Arbeit.“ Tatsächlich sieht man nicht nur Hütten, sondern auch feste Häuser mit Strom, Gas und fließendem Wasser, Kühlschrank und Fernseher. Es gibt kleine Geschäfte, eine Privatschule und eine Kita, eine Gesundheitsstation. Kennerknecht misstraut mitleidigen Spendern und beamteten Armutsbekämpfern. „Wer den Leuten Geld gibt, macht sie unmündig und passiv“, schimpft er. „Oft verfallen Projekte, weil man auf die nächste Überweisung wartet.“

P1060589In den Hügeln von Villa María nennen sie den 73-jährigen Deutschen nur „den Irren“. Denn Kennerknecht will, dass die Menschen selbst aktiv werden. Armut zu bekämpfen bedeutet für ihn, den Menschen Rechte statt Geld zu geben. Das ist nicht einfach in einer Kultur, wo sich Arme und Reiche darin eingerichtet haben, Almosen zu geben oder zu empfangen und wo Spekulanten damit die Umwelt ruinieren. Seine Touren durch die Vororte stehen inzwischen in drei Reiseführern, sagt er.  Als „Touren durch die Armenviertel“, was Kennerknecht aufregt. Ihn regt ziemlich viel auf.

„Die Politiker versorgen die Leute mit Wohnungen, dafür bekommen sie deren Stimmen“, sagt Kennerknecht. „Vor allem aber profitieren die Spekulanten. Die Besetzer sind oft gar keine Landlosen, sondern übergeben ihr Grundstück an die Bodenspekualten, die traficantes, die es mit hohem Gewinn verkaufen.“ Laut Richard Aguilar, Präsident des örtlichen Comité Ecológico de Defensa de las Lomas Villa María, schüchtern Schlägertrupps die Bürgermeister der Orte ein. „Da regt sich kein Widerstand mehr.“

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Anwohnerin der Hügel von Villa Maria, die die Ausweitung der illegalen Besiedlungen kritisch sieht

Wir fahren hinauf zu Marta, die einen kleinen Comedor (Restaurant) oben auf den Hügeln betreibt und auf dem sandigen Boden Kartoffeln und Salat zieht. Neben ihrem Häuschen steht ein Gerüst, drei Meter hoch und acht Meter lang:  ein Nebelfänger, eine Konstruktion aus Stahlrohr, Netz und einer Membran, um Feuchtigkeit aus der Luft und den Winternebeln zu filtern. Vor einigen Jahren hat die kleine deutsche Organisation Alimón sie bauen lassen, um die verdorrten Hügel wieder ergrünen zu lassen. An sich eine gute Idee: die Nebelfänger übernahmen, was bis vor 100 Jahren die Bäume getan hatten. Zusammen mit den Anwohnern hob man Wasserreservoirs aus, legte Leitungen. „Die Nebelfänger haben 15.000 Liter täglich produziert“, sagt Kennerknecht, „Das hat gut funktioniert.“

lomas1Aber bald waren die Nebelfänger unbrauchbar. Die Anwohner hielten sie nicht in Stand, die Leitungen zerfielen. Vor allem aber störten die Wasserspender die heimlichen Herrscher der Gegend, die Bodenspekulanten. Grüne Hügel, die zu einem Naturschutzgebiet werden könnten, sind ein Hindernis für illegale Siedlungen. Plötzlich vergaßen Bürgermeister ihre Versprechen, Behörden mussten prüfen, Gesetze verzögerten sich. Den deutschen Initiatoren wurde gar am Flughafen die Einreise verwehrt.

Blick ins Tal. Bis zum Horizont haben sich die illegalen Siedlungen von Hügel zu Hügel gefressen. Richard Aguilar deutet nach rechts: „Diese Häuser waren bei unserem letzten Besuch noch nicht da.“ Er erklärt, wie die Landnahme vor sich geht: Menschen besetzen ein Stück Land und bauen provisorische Holzhütten – die Bausätze dafür werden an der Straße verkauft. Wenn die Polizei die Invasion nicht sofort beendet, werden die Besetzer zu Besitzern mit Anspruch auf das Land. Nach fünf Jahren haben sie ein Recht auf Wasser- und Stromleitungen. Alles ist perfekt legal, deshalb hat der Wasserversorger Sedapal drei riesige Wassertanks in das Tal von Bellavista gebaut.

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Die Stadtverwaltung von Lima hat 2013 bei der staatlichen Naturschutzbehörde SERNANP beantragt, das 1700 Hektar große Gebiet in ein Naturschutzgebiet zu verwandeln.  Der Antrag liegt aber seitdem auf der Halde. Wenn Lima weiterhin so rasant wächst und die Hügel hinter Villa Maria immer weiter besiedelt werden, wird sich das Thema irgendwann von selbst erledigt haben.

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Fast zu schön, um Mai zu sein

IMG_0404_AussschnittWährend die Farben des Himmels heute von tiefgrau zu bleigrau zu weißgrau wechseln, schreiben wir hier einen Nachruf auf den Sommer, der noch gar nicht so lange her ist. Denn wie schon im letzten Jahr haben uns die Ausläufer von El Niño Sonnentage bis in den Mai beschert. In dieser Zeit hatten wir Besuch von Freunden aus Kolumbien, die kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes ein wenig Meeresbrise schnuppern (und natürlich auch uns sehen) wollten, was sie wegen des Zika-Virus in Kolumbien derzeit nicht so gut machen können. Sie bekamen fünf Tage feinsten blauen Himmel und Licht so gleißend wie das Gold der Inka und abends versank die Sonne glühend rot im Pazifik, es hätten nur noch schmalzige Gitarrenklänge gefehlt. Wir fühlten uns wie im Urlaub, mitten in der Stadt. Einmal fuhren wir raus in den Süden und landeten in Pucusana und Punta Hermosa. Punta Hermosa heißt schöne Spitze. Und es war spitze.

Nun sind die Freunde wieder in Bogotá und hier ist es kalt geworden. Aber wir sind unbekümmert, denn mit dem Ende des Sommers beginnen unsere Reisen in die Berge, wo in diesen Monaten der Himmel klar ist. Heute abend fahren wir mit Kindern und Freundinnen zum Selvámonos Festival nach Oxapampa. Dazu bald mehr. Bis dahin: schöne Sonnentage euch allen, in echt oder im Kopf!

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Alltagsgeschichten

1Eine unserer Leser*innen hat uns gefragt, ob wir ein bißchen von unserm Alltag als deutsche Familie in Lima erzählen können. Das tun wir gerne. Hier also ein paar Eindrücke nach zwei Jahren:

Als wir mit unseren sieben Koffern, Laufrad, Kinderwagen und diversen Rucksäcken im August 2014 in Peru ankamen, war einiges vertraut und einiges neu. Vertraut war, dass wir schon diverse Male in Lateinamerika waren, in Ecuador, Bolivien, Kuba. Wir sprachen Spanisch, kannten und liebten Salsa und Cumbia, hatten bereits Cuy (Meerschweinchen) gegessen, waren unabhängig voneinander zum Machu Picchu geklettert und in knatternden Mototaxis (zu Taxis umgebaute dreirädrige Motorräder) durch die Gegend gefahren. Neu war, dass wir hier mit zwei Kindern, sieben Koffern und der Aussicht standen, einige Jahre hier zu bleiben und uns allmählich einen Alltag in der 10-Millionen-Stadt Lima aufzubauen.

Die ersten Monate waren eine Zeit der Orientierung, ein Auf und Ab der Gefühle, der Überforderung mitunter, der Suche: nach einer Wohnung,  einer geeigneten Kita, nach Fahrradwegen, Freunden. Wir hatten Glück und fanden eine schöne Wohnung, eine wunderbare Kita, wir kauften Fahrräder und fanden Fahrradwege, Freunde und Bekannte. Die wichtigsten Begleiterinnen in diesen Monaten:  Geduld und Zuversicht. Dass sich schon alles finden wird. Manches früher, manches später.

Und heute? Vieles ist so normal geworden, dass es uns gar nicht mehr auffällt. Manches fällt uns immer noch auf: dass wir (anders als in z.B. derzeit in Europa) als Ausländer*innen herzlich aufgenommen werden. Nur ein brummeliger Nachbar blafft uns jedesmal mit einem herzlichen „Gringos!“ an, alle anderen sind interessiert, offen, neugierig. Deutschland gilt vielen als gelobtes Land, das Sicherheit und Perspektiven verspricht. Dass das nicht immer so ist und der politische Kurs in Deutschland gerade eher besorgniserregend ist, ist eine andere Geschichte.

Parque del Amor, Miraflores

Parque del Amor, Miraflores

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Blick aus dem Wohnzimmer, Jesús María

 

 

 

 

 

Uns ist bewusst, dass wir trotz unseres für deutsche Verhältnisse sehr bescheidenen Gehalts hier ziemlich privilegiert leben. Wir haben eine wunderschöne große Wohnung, die wir uns mit Freunden teilen, wir können die Kinder in eine für peruanische Verhältnisse recht teure Kita schicken, im Taxi herumfahren, regelmäßig unsere Babysitterin anfragen, Essen gehen, verreisen. Wir haben über unseren Entwicklungshelfervertrag eine Krankenversicherung, die für viele Peruaner*innen völlig unerschwinglich wäre. Eine gute medizinische Versorgung kostet hier viel viel Geld. Es gibt einige staatliche Krankenversicherungen, aber die decken nur einen Bruchteil ab von dem, was viele in Deutschland an medizinischer Versorgung gewöhnt wären. Oft sammeln Freunde und Familie das Geld für die Betroffenen zusammen. Ich hatte vorher nie darüber nachgedacht, dass man selbst in der Notaufnahme erst einmal Bares auf den Tisch legen muss, um überhaupt behandelt zu werden.

Wir wissen um diese Privilegien und versuchen so gut es geht,  andere daran teilhaben zu lassen und den Blick auf die vielen anderen Gesichter der Stadt und in der Stadt nicht zu verlieren. Als sogenannte Expats (hierzu ein lesenswerter englischer Artikel aus dem Guardian) könnten wir es uns auch in unserer Privilegienblase gemütlich machen. Aber Lima ist mehr als Miraflores und Barranco.

Und sonst so? Wir fallen immer wieder auf als diejenigen, die im Supermarkt Jutebeutel auspacken und ihre Einkäufe ohne Plastik einpacken. Wir werden bestaunt als unerschrockene Fahrradfahrer. Über unseren Brotkonsum (wir backen selber) macht unsere peruanische Mitbewohnerin Milena immer noch große Augen. Passanten bleiben stehen, wenn Ronja mit ihren blonden Haaren und blauen Augen vorbeiläuft, „que preciosa!!“ rufen sie, wie wunderschön! und „una muneca“, eine Puppe! Nur Leo, unser 4-jähriger Freund aus der Kita sticht mit seiner wilden Mähne von roten Korkenzieherlocken noch mehr aus der Menge.

Kindergeburtstag in Barranco

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Bei Freunden in San Juan de Lurigancho

Es gibt immer wieder Momente, in denen uns Unterschiede auffallen. Wie Menschen Kindergeburtstage feiern. Oder Weihnachten. Welche Bedeutung Familie hat. Was man alles essen kann (Meerschweinchen, Augen in der Suppe, Maden im Regenwald). Wie man (nicht) Nein sagt. Das bleibt spannend. Und dann gibt es all diese vielen Momente, die am Anfang neu waren – Emoliente de Quinoa trinken am Straßenstand auf dem Weg zur Arbeit, im Mototaxi zu Freunden tuckern, an Weihnachten Tshirts tragen, Salsa tanzende Senioren in der Nachbarschaft – die mittlerweile Alltag sind.

Es gibt einen schönen Text, den ich auf Nachbereitungsseminaren von Auslandsaufenthalten oft vorgelesen habe, da heißt es „Es machte mich glücklich, wie schnell das Gefühl aufkam, dass es am Ende doch egal war, ob man nun in Paris oder Perth, Amsterdam oder Amman lebte. Das Eingewöhnen dauert hier eventuell länger als dort, die Blicke auf der Straße sind dort vielleicht intensiver als hier, aber am Ende kann jeder dieser Orte ein Zuhause sein. Ich spürte dem Wegsein nach (…) wie es sich anfühlte und was es mit mir machte. Gegen Ende meines Aufenthaltes filterte ich heraus, was ich am Schönsten daran fand und was eventuell das sein könnte, was viele so schön an Auslandsaufenthalten finden. Es war nicht etwa, all das Neue zu sehen oder zu erleben, das konnte man auch in zwei bis vier Wochen Urlaub haben. Es war dieses langsame Werden eines Zuhauses, das Aufkommen eines Alltags, in dem manche Dinge Selbstverständlichkeiten wurden, in dem viele andere Dinge Selbstverständlichkeiten blieben“.

Bailemos! Oder: Hüftschwung mit den heißen Alten

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Jeden Mittwoch nachmittag beginnt das große Stühlerücken auf der Plaza in der Residencial San Felipe, dort wo sich die Läden, Apotheken, Banken aneinanderreihen, wo sonst Senioren auf den Bänken verweilen und Kinder mit Rollern und Rädern herumflitzen. Jeden Mittwoch nachmittag trudeln rüstige Rentner, gebrechliche Senioren, fitte Silver Ager und auch ein paar jüngere Menschen ein und warten auf den Beginn des allwöchentlichen Tanzabends mit Live-Band, pünktlich um 17 Uhr (im Sommer um 18 Uhr). Die Stadtteilverwaltung in Jesus Maria organisiert das Tanzvergnügen, organisiert Stühle und Musiker, seit vielen Jahren.

Manche der frühen Ankömmlinge lesen noch ein wenig in der Zeitung, blinzeln in die Spätnachmittagssonne, andere plaudern mit ihren Sitznachbarn. Wie war die Woche? Was macht die Hüfte? Und die Enkelkinder?

Wenn die Musiker dann ihre Instrumente und Lautsprecher aufgebaut haben, wenn alle im Quarreé sitzen und erwartungsvoll auf die Band schaut und wenn dann die ersten Takte erklingen, Salsa, Cumbia, Bolero: manchmal springen dann schon die ersten Tänzer auf, schwingen die Hüften, heben die Arme und sie sind nicht mehr 80, sondern 40, ach was, 20 Jahre alt!20160511_173033

Es ist eine helle Freude, den „heißen Alten“, wie manche sie liebevoll nennen, beim Tanzen zuzuschauen. Sie haben sich feingemacht, geschminkt, die Haare gegelt, den Anzug gebügelt und das neue Kleid an, sie haben eine frische Dauerwelle oder sich noch schnell die Nägel lackieren lassen. Sie tanzen, als gäbe es kein Morgen, sie singen die Texte mit und lachen und sie sind überhaupt nicht mehr gebrechlich, sondern gelenkig wie damals. Es herrscht freie Partnerwahl, der alte Herr fordert die junge Mutter auf, die in einer Parfümwolke schwebende Seniorin ihren Sitznachbarn. Die meisten kommen jede Woche. Immer dabei: der Vagabund mit den langen grauen Haaren und Plastiktüten, der so vehement den Takt mitklatscht als wolle er verhindern, dass die Musik jemals wieder aufhöre. Der Herr, der wie eine ältere elegante Version von Robin Hood aussieht mit gelben Lederschuhen und Feder am feschen Hut. Der gealterte Schönling, der nur mit den jüngeren Frauen tanzt. Die Grande Dame mit der Dauerwelle und ihren theatralischen Gesten. Unsere Nachbarin, die einen Hüftschwung hat, von dem sich so mancher noch was abgucken kann. Außerdem dabei: die Eisverkäufer, die Passanten, die gerade aus dem Supermarkt kommen und nun kurz innehalten und mitwippen, ein paar Kinder, die zwischendurch herumflitzen.

Es werden gespielt: Klassiker, Stücke zum Schwoofen, Abtanzen, Mitsingen, sämtliche tropische Rhythmen, Salsa, Cumbia, Boleros, Merengue. Herzergreifend schön. Auf dass die Menschheit nie aufhöre zu tanzen.

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Allin Mikuy Ayllu – Gemeinschaft des gutes Essens

canasta5Wir sprechen (leider) kein Quechua. Aber drei Quechua-Worte benutzen wir sehr oft: Allin Mikuy Ayllu. Das bedeutet „Gemeinschaft des gutes Essens“. So nennt sich eine lose Gruppe von Freunden und Gleichgesinnten, die im September 2012 in Lima eine Biokiste ins Leben riefen.

Manche kennen das Konzept der Biokiste, manchmal auch Öko- oder grüne Kiste genannt: ein System des Direktvertriebs von regionalen und saisonalen Lebensmitteln aus der ökologischen Landwirtschaft. Menschen (meist) aus der Stadt bekommen ihre Kisten mit Obst und Gemüse, Milchprodukten, Getreide, manchmal auch Fleisch direkt vor die Haustür geliefert. Manche holen diese Lebensmittel auch an bestimmten Orten ab, selbstorganisiert oder in entsprechenden Läden. In Deutschland gibt es über 100 solcher Biokisten-Gruppen, dazu Dutzende von Food-Coops, einer Art Lebensmittelgenossenschaft. In Bremen, wo wir lange Zeit gewohnt haben, gibt es seit über 30 Jahren einen verwunschenen Laden namens Maiskolben, in dem Bio- und Demeterprodukte angeboten werden, wo man Ladendienste übernehmen und die Bauern im Umland besuchen kann, die die Lebensmittel produzieren.

Allen Initiativen gemein ist, dass sie die ökologische Landwirtschaft fördern wollen, auf Pestizide und Gentechnik verzichten und eine Form solidarischer Landwirtschaft unterstützen, die die lokalen Beziehungen zwischen Verbrauchern und Erzeugern stärkt. Es geht um gesunde Ernährung, aber eben auch: um mehr Gemeinschaft.

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Zurück also zur Gruppe um Allin Mikuy Ayllu. Die Freunde Luna und Pepelucho hatten im Herbst 2012 beeinander gesessen und Ideen gesponnen, inspiriert von Canastas Comunitarias („Gemeinschafts-Körben“) in Riobamba (Ecuador), Bogotá (Kolumbien) und Europa. Nach einigen Monaten der Vorbereitung fand im Februar 2013 die erste Canasta statt. 24 Familien und 11 Produzenten waren dabei, unterstützt von einem halben Dutzend Freiwilliger.

Heute sind es etwa 30 Familien, die sich einmal im Monat treffen, meist in den Räumen der Organisation PDTG (siehe Netzwerk) oder des Colegio José Antonio Encinas, einer alternativen Schule in Magdalena del Mar. Bei den Treffen geht es nicht nur um die Verteilung der Biokisten, sondern auch um den Austausch von Erfahrungen, Wissen und um ein bewusstes Erleben von Gemeinschaft. Manchmal bereitet jemand eine kleine Zeremonie für die Pachamama, die Mutter Erde, vor. Dann gehen Koka-Blätter herum, Tabakrauch wird auf rituelle Weise auf die Pflanzen gepustet, brennende Palo Santo Stäbe verbreiten einen süßlich-harzigen Geruch, der sofort an die Hochebenen der Anden denken lässt. Am Jahresende gab es einmal eine sehr berührende Runde mit guten Wünschen und Ausblicken, was bleibt, was kommt.

Auf ihrem Blog schreiben die Canasterxs, dass sie „ein Medium sein wollen für Bildung rund um Themen wie Gesundheit und Ernährung und Türen öffnen wollen zu einer Lebensform, die auf Solidarität und Harmonie mit der Natur beruht“. In diesem Sinne: Allin risuchun, que te vaya bien, möge es dir gut ergehen, liebe Canasta.

Hier gehts zum Blog der Canasta Allin Mikuy Ayllu und hier zur (aktuelleren) Facebook-Seite.

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Das einfache Leben

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Ein Wochenende in Huancayo. Zu Besuch bei Ulrika und Wuester, die wie wir für drei Jahre als Entwicklungshelfer in Peru arbeiten.

Der erste Tag ist mühsam. In meinem Kopf pocht es, ich bin verschnupft und fühle mich trotz neun Stunden Schlaf unendlich müde. Mein Körper ist nicht daran gewöhnt, auf 3200 Metern herumzulaufen, trotz mehrmaliger Reisen in die Berge. Ich gebe mir Zeit, laufe langsam, trinke tassenweise Koka-Tee. Am Nachmittag geht es besser. Wir machen einen Rundgang durch die Stadt. Auf der Avenida Real, der Hauptstraße Huancayos, arrangieren Gruppen in mühevoller Arbeit riesige Bilder aus gefärbtem Sägemehl. Am Abend wird eine große Prozession über diese Teppiche spazieren. Später klettern wir durch versteinerte Felsformationen, die Torre Torre (Turm Turm) heißen, die Luft ist warm, Vögel zwitschern, ein kleiner Bach plätschert in der Tiefe. In Huancayo ist das Campo, das Land, sehr nah.

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Am nächsten Tag fahren wir eben dort hin, aufs Land. Im Dörfchen Wicso wohnen die Eltern von Roberto, einem guten Freund aus Lima. In Wicso sind die Straßen nicht befestigt, Mädchen treiben Kühe und Schafe über die Wege, um das Dorf herum liegt ein Meer aus Maisfeldern.

Familie Lopez-Rojas hat ein Haus aus Lehm. Wir stehen mit Gitarre, Charango und breitkrempigem Cajamarca-Sombrero vor der Tür, Wuester singt „Ya llegamos amigos“, er hat für jeden Anlass ein Lied dabei. Robertos Eltern öffnen uns die Tür, ihre Enkel luken heraus, der Hund bellt uns wütend an, dann beruhigt er sich. Wir treten ein. Der Innenhof ist voller Blumen, Kräuter (Oregano, Melisse), Aguaymanto, am Haus ein in die Wand geritztes Bild einer aufgehenden Sonne. 

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Es wird ein friedlicher Tag auf dem Land. Wir gehen aufs Feld und ernten Mais, um daraus später Humitas zu machen, in Maisblätter gewickelte süße Maisfladen. Wir essen Avas (Bohnen), Choclo (Mais) und Yungay-Kartoffeln mit der Hand, tunken sie in verschiedene Soßen mit verschiedenen Schärfegraden. Wuester schaut nach der Therme, die er bald hier anbringen will, damit die Familie warmes Wasser hat. Die Kinder machen Lagerfeuer hinten auf dem Feld.

Das einfache Leben, denke ich. Sorgenfrei ist es sicher nicht – wenn der Regen ausbleibt oder der Arzt eine Tagesreise entfernt ist oder die Kinder nicht zurückkommen aus den Großstädten, in die sie gezogen sind. Aber auf dem Land zu sein schärft den Blick für wesentliche Dinge. Gibt es genug zu essen? Wann kommt der Regen? Sind die Esel versorgt? Familie Lopez-Rojas besitzt wenige Dinge, aber die werden täglich genutzt. Was kaputt ist, wird repariert. Was die Natur gibt an Materialien, wird weiter verwertet.

Auch Ulrika und Wuester führen ein einfaches Leben. Sie haben keinen Kühlschrank, duschen mit Solarenergie, stellen selbst Joghurt her und pflanzen Salat auf der Dachterrasse. Wuester hat eine Werkstatt voller Krimskrams, wo er alles repariert, was er in die Hände bekommt. Haben oder Sein, denke ich, hier spielt das Sein eine große Rolle, Musik, Spiritualität. Was macht ein gutes Leben aus? Sich nicht abhängig machen von Sachen. Frei sein. In guter Gesellschaft sein.

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Stadt ohne Wasser

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Costa Verde, Miraflores

Sommer in Lima. Fast jeden Morgen spannt sich der Himmel blau und weit über die Zehn-Millionen-Metropole am Pazifik. Das Thermometer klettert täglich auf 30 Grad.  Wir freuen uns über die Sonne, von unserem Hochhaus schauen wir hinunter in einen grünen Park, rechts hinunter funkelt der Pazifik.

Aber der Schein trügt. Lima ist eine Stadt ohne Wasser an einer Küste aus Wüstensand. Wir leben in einer Blase. In unserem Stadtviertel gibt es Wasserleitungen, wir haben meistens fließendes Wasser, im Park der Residencial San Felipe bewässern die Gärtner und Gärterinnen fast täglich den knochentrockenen Boden.

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Wüstenlandschaft bei Ica, südlich von Lima

Lima ist nach Kairo die zweittrockenste Hauptstadt der Welt. Das Nass ist hier so knapp wie an wenigen anderen Orten der Welt. Jährlich fallen nur etwa zehn Millimeter Regen. Limas Wasserversorgung hängt fast komplett vom Niederschlag in den nahen Anden ab. Regen und Schnee aus den Bergen fließen aber zum allergrößten Teil in die entgegengesetzte Richtung, ins Amazonasbecken. Lima und viele andere Städte an der peruanischen Küstenwüste bleiben auf dem Trockenen sitzen. Der Fluss Rímac, der durch Lima fließt, ist meist ein trauriges Rinnsal mit Ufern voller Müll.

Die Limeños zapfen bereits die Grundwasserreserven im Erdboden an. In den besonders regenarmen Monaten zwischen Mai und September musste das Wasser in der peruanischen Hauptstadt schon mal rationiert werden. Das könnte bald noch häufiger geschehen. Durch den Klimawandel verändern sich die Niederschläge in den Anden. Die für Lima wichtigen Flüsse könnten im Jahr 2050 etwa 13 Prozent weniger Wasser führen als heute. Und der Bedarf an Wasser wächst, da die Stadt weiter wächst. 2040 könnten es 13 Millionen Menschen sein.

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Stadt der Gegensätze: wohlhabende Küstenviertel im Hintergrund, Armenviertel an den Berghängen

Die Wasseraufbereitungsanlagen des Wasserversorgers Sedapal sollten helfen, das kostbare Nass besser zu nutzen. Die Wasserwerke holen tote Tiere und Müll aus dem Rímac und filtern die Schadstoffe aus dem Wasser, die Fabriken und Bergbau-Unternehmen am Oberlauf des Flusses ungeklärt hineinleiten. Trotzdem geht fast ein Drittel des aufbereiteten Wassers auf dem Weg zum Verbraucher verloren – wegen brüchiger Leitungen und alter Kanäle, die dem Wasserdruck in den regenreichen Monaten im Andenraum (die sonnigen Monate in Lima) nicht standhalten.

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Die Verteilung von Wasser ist ein weiteres Problem. Während in den wohlhabenden Stadtteilen an der Küste und im Zentrum der Stadt das Wasser aus den Leitungen sprudelt, die Planschbecken füllt und die Gärten begrünt, sitzen viele Bewohner Limas in den steilen Hügeln am Stadtrand auf dem Trockenen. Etwa eine Million Menschen in Lima haben überhaupt keinen Zugang zu fließendem Wasser. Sie müssen das kostbare Nass aus Tankwagen kaufen und zahlen dafür viel mehr Geld als unten im Tal. Im schicken Viertel Miraflores zum Beispiel kostet das Wasser etwa 70 bis 80 Eurocent pro Kubikmeter. In Villa María dagegen, einem bevölkerungsreichen und sehr viel ärmeren Stadtteil, müssen die Bewohner das Zehnfache zahlen. Zum Vergleich: In Deutschland kostet ein Kubikmeter Wasser im Durchschnitt etwa 1,70 Euro. Dementsprechend sparsam gehen die Armen mit dem Wasser um. Weil aber die Reichen so verschwenderisch sind, liegt der durchschnittliche Verbrauch in ganz Lima bei 240 Liter pro Kopf und Tag – und damit doppelt so hoch wie in Deutschland.

Lima hat sicherlich ein Wasserproblem. Aber es müsste nicht so drastisch sein, wenn das Wasser gerechter verteilt wäre. Es wäre genug für alle da. Aber solange in den reichen Stadtvierteln die Gärten mit Trinkwasser bewässert werden, die Wasser-Tankwagen ihr Geschäft machen mit dem Verkauf von überteuertem Wasser in den Armenvierteln und das Klima so bleibt wie es ist, sieht es knapp aus.

Zum Weiterlesen: Beiträge aus der Süddeutschen und der FAZ (mit Video)

Wie wollen wir leben?

Es gab eine Zeit, da führten wir ein Kleinfamilienleben wie viele andere Menschen. Vater, Mutter, zwei Kinder, in einer kleinen Stadtwohnung. Einer studierte, eine arbeitete, wir organisierten unser Leben mit allabendlichen Absprachen, wer wann was macht, die Kinder abholt, den Babysitter anruft, wir machten täglich To-Do-Listen, wir kochten vor, wir gingen spätabends einkaufen, wenn wir eigentlich schon müde waren, oft waren wir erschöpft.

Manche Freunde von uns zogen in Wohnprojekte hinaus aufs Land, in Gemeinschaftshäuser, in große WGs. Bei manchen Projekten hatten wir Bilder von ständigen Plenums-Treffen vor Augen, Gemeinschaftskassen-Diskussionen und Konsens-Zwang. Erfahrungen aus eigenen WG-Zeiten. Wir blieben in unserer kleinen Wohnung und machten es uns dort gemütlich.

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Gemeinsames Mittagessen in der Cordillera Blanca und geselliges Taxifahren in Lima

Dann zogen wir nach Lima. Hier leben die meisten Menschen in großen Familienbünden zusammen in oft kleinen Wohnungen. Wer es sich leisten kann, auch in größeren Wohnungen. Großeltern und Eltern und Tanten und diverse Cousins und Cousinen.  Alleine zu wohnen kam uns auf einmal seltsam vor. Wir öffneten die Türen. Zuerst kamen Geschwistern und Eltern aus Deutschland, dann Freunde aus Peru, manchmal nur ein Wochenende, manchmal mehrere Wochen.

Momentan wohnen wir in unserer Wohnung mit 3 Erwachsenen und 4 Kindern. Täglich kommen Nachbarn oder Freunde vorbei, oft sitzen wir zu zehnt am Tisch.  Wir machen immer noch To-Do-Listen, wir kaufen immer noch oft spätabends ein, und die Jonglage aus Jobs, Kindern, Haushalt und Freizeit ist immer noch herausfordernd. Aber jetzt haben wir Menschen ums uns herum. Einer spielt immer mit den Kindern, singt, denkt sich Theaterstücke aus von Piraten und Feuerwehrleuten und Gärtnern. Einer kocht immer. Einer hat immer was zu erzählen. Es ist wunderbar. Und ein Gedanke setzt sich zu uns an den Tisch, der sagt: so könnte es sein. Dass sich Menschen gegenseitig mehr unterstützen. Dass Menschen zusammen wohnen. Als Großfamilie, mit Freunden, als bunter Patchworkhaufen. Viva la sociabilidad 🙂

P1070021Runde Tafel im Wendland