Das Buch ist fertig!

Das auf Raubbau und Rohstoff-Export basierende Wirtschaftsmodell, das derzeit in vielen Ländern Lateinamerikas Konjunktur hat, hat die Armut in vielen Regionen ansteigen lassen. „Extraktivismus hat wirtschaftliche Krisen vorangetrieben und gleichzeitig Mentalitäten geschaffen, die nur auf Profit ausgerichtet sind“, urteilt Alberto Acosta, Ex-Minister für Energie und Bergbau in Ecuador und heute Vordenker der Weltanschauung des Buen Vivir – Recht auf ein Gutes Leben

Das Buch sucht  und zeigt Alternativen für ein sozialeres Modell, das mehr Wert legt auf Solidarität, Respekt gegenüber der Natur, auf nachhaltige Nutzung von Naturressourcen und nicht zuletzt auf die kollektiven Rechte von angestammten Gemeinschaften – ein Lebensmodell des Buen Vivir, allin kausay, suma kawsay, suma qamañ.

Zum Weiterlesen: ein Text (en español) vom Red Muqui zur Buchpräsentation auf der Buchmesse und unser Artikel zum Buch, veröffentlicht bei der Infostelle Peru.

Allin Mikuy Ayllu – Gemeinschaft des gutes Essens

canasta5Wir sprechen (leider) kein Quechua. Aber drei Quechua-Worte benutzen wir sehr oft: Allin Mikuy Ayllu. Das bedeutet „Gemeinschaft des gutes Essens“. So nennt sich eine lose Gruppe von Freunden und Gleichgesinnten, die im September 2012 in Lima eine Biokiste ins Leben riefen.

Manche kennen das Konzept der Biokiste, manchmal auch Öko- oder grüne Kiste genannt: ein System des Direktvertriebs von regionalen und saisonalen Lebensmitteln aus der ökologischen Landwirtschaft. Menschen (meist) aus der Stadt bekommen ihre Kisten mit Obst und Gemüse, Milchprodukten, Getreide, manchmal auch Fleisch direkt vor die Haustür geliefert. Manche holen diese Lebensmittel auch an bestimmten Orten ab, selbstorganisiert oder in entsprechenden Läden. In Deutschland gibt es über 100 solcher Biokisten-Gruppen, dazu Dutzende von Food-Coops, einer Art Lebensmittelgenossenschaft. In Bremen, wo wir lange Zeit gewohnt haben, gibt es seit über 30 Jahren einen verwunschenen Laden namens Maiskolben, in dem Bio- und Demeterprodukte angeboten werden, wo man Ladendienste übernehmen und die Bauern im Umland besuchen kann, die die Lebensmittel produzieren.

Allen Initiativen gemein ist, dass sie die ökologische Landwirtschaft fördern wollen, auf Pestizide und Gentechnik verzichten und eine Form solidarischer Landwirtschaft unterstützen, die die lokalen Beziehungen zwischen Verbrauchern und Erzeugern stärkt. Es geht um gesunde Ernährung, aber eben auch: um mehr Gemeinschaft.

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Zurück also zur Gruppe um Allin Mikuy Ayllu. Die Freunde Luna und Pepelucho hatten im Herbst 2012 beeinander gesessen und Ideen gesponnen, inspiriert von Canastas Comunitarias („Gemeinschafts-Körben“) in Riobamba (Ecuador), Bogotá (Kolumbien) und Europa. Nach einigen Monaten der Vorbereitung fand im Februar 2013 die erste Canasta statt. 24 Familien und 11 Produzenten waren dabei, unterstützt von einem halben Dutzend Freiwilliger.

Heute sind es etwa 30 Familien, die sich einmal im Monat treffen, meist in den Räumen der Organisation PDTG (siehe Netzwerk) oder des Colegio José Antonio Encinas, einer alternativen Schule in Magdalena del Mar. Bei den Treffen geht es nicht nur um die Verteilung der Biokisten, sondern auch um den Austausch von Erfahrungen, Wissen und um ein bewusstes Erleben von Gemeinschaft. Manchmal bereitet jemand eine kleine Zeremonie für die Pachamama, die Mutter Erde, vor. Dann gehen Koka-Blätter herum, Tabakrauch wird auf rituelle Weise auf die Pflanzen gepustet, brennende Palo Santo Stäbe verbreiten einen süßlich-harzigen Geruch, der sofort an die Hochebenen der Anden denken lässt. Am Jahresende gab es einmal eine sehr berührende Runde mit guten Wünschen und Ausblicken, was bleibt, was kommt.

Auf ihrem Blog schreiben die Canasterxs, dass sie „ein Medium sein wollen für Bildung rund um Themen wie Gesundheit und Ernährung und Türen öffnen wollen zu einer Lebensform, die auf Solidarität und Harmonie mit der Natur beruht“. In diesem Sinne: Allin risuchun, que te vaya bien, möge es dir gut ergehen, liebe Canasta.

Hier gehts zum Blog der Canasta Allin Mikuy Ayllu und hier zur (aktuelleren) Facebook-Seite.

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Das einfache Leben

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Ein Wochenende in Huancayo. Zu Besuch bei Ulrika und Wuester, die wie wir für drei Jahre als Entwicklungshelfer in Peru arbeiten.

Der erste Tag ist mühsam. In meinem Kopf pocht es, ich bin verschnupft und fühle mich trotz neun Stunden Schlaf unendlich müde. Mein Körper ist nicht daran gewöhnt, auf 3200 Metern herumzulaufen, trotz mehrmaliger Reisen in die Berge. Ich gebe mir Zeit, laufe langsam, trinke tassenweise Koka-Tee. Am Nachmittag geht es besser. Wir machen einen Rundgang durch die Stadt. Auf der Avenida Real, der Hauptstraße Huancayos, arrangieren Gruppen in mühevoller Arbeit riesige Bilder aus gefärbtem Sägemehl. Am Abend wird eine große Prozession über diese Teppiche spazieren. Später klettern wir durch versteinerte Felsformationen, die Torre Torre (Turm Turm) heißen, die Luft ist warm, Vögel zwitschern, ein kleiner Bach plätschert in der Tiefe. In Huancayo ist das Campo, das Land, sehr nah.

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Am nächsten Tag fahren wir eben dort hin, aufs Land. Im Dörfchen Wicso wohnen die Eltern von Roberto, einem guten Freund aus Lima. In Wicso sind die Straßen nicht befestigt, Mädchen treiben Kühe und Schafe über die Wege, um das Dorf herum liegt ein Meer aus Maisfeldern.

Familie Lopez-Rojas hat ein Haus aus Lehm. Wir stehen mit Gitarre, Charango und breitkrempigem Cajamarca-Sombrero vor der Tür, Wuester singt „Ya llegamos amigos“, er hat für jeden Anlass ein Lied dabei. Robertos Eltern öffnen uns die Tür, ihre Enkel luken heraus, der Hund bellt uns wütend an, dann beruhigt er sich. Wir treten ein. Der Innenhof ist voller Blumen, Kräuter (Oregano, Melisse), Aguaymanto, am Haus ein in die Wand geritztes Bild einer aufgehenden Sonne. 

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Es wird ein friedlicher Tag auf dem Land. Wir gehen aufs Feld und ernten Mais, um daraus später Humitas zu machen, in Maisblätter gewickelte süße Maisfladen. Wir essen Avas (Bohnen), Choclo (Mais) und Yungay-Kartoffeln mit der Hand, tunken sie in verschiedene Soßen mit verschiedenen Schärfegraden. Wuester schaut nach der Therme, die er bald hier anbringen will, damit die Familie warmes Wasser hat. Die Kinder machen Lagerfeuer hinten auf dem Feld.

Das einfache Leben, denke ich. Sorgenfrei ist es sicher nicht – wenn der Regen ausbleibt oder der Arzt eine Tagesreise entfernt ist oder die Kinder nicht zurückkommen aus den Großstädten, in die sie gezogen sind. Aber auf dem Land zu sein schärft den Blick für wesentliche Dinge. Gibt es genug zu essen? Wann kommt der Regen? Sind die Esel versorgt? Familie Lopez-Rojas besitzt wenige Dinge, aber die werden täglich genutzt. Was kaputt ist, wird repariert. Was die Natur gibt an Materialien, wird weiter verwertet.

Auch Ulrika und Wuester führen ein einfaches Leben. Sie haben keinen Kühlschrank, duschen mit Solarenergie, stellen selbst Joghurt her und pflanzen Salat auf der Dachterrasse. Wuester hat eine Werkstatt voller Krimskrams, wo er alles repariert, was er in die Hände bekommt. Haben oder Sein, denke ich, hier spielt das Sein eine große Rolle, Musik, Spiritualität. Was macht ein gutes Leben aus? Sich nicht abhängig machen von Sachen. Frei sein. In guter Gesellschaft sein.

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Im einem Dorf namens Fortschritt

P1060370Eine andere Welt ist möglich, sagt Eduardo Gudynas, Vordenker des Postwachstum. Er hat ein Buch geschrieben „Die Rechte der Natur“, das liest sich wunderbar. Er rüttelt darin am derzeit verbreiteten Wachstums-Gedanken und fordert eine Abkehr vom Raubbau an der Natur. Lateinamerika brauche mehr regionale Wirtschaftskreisläufe und müsse seine Rolle als reiner Rohstoff-Exporteur ablegen. Nachhaltige Alternativen könnten gemeindebasiserter Tourismus, ökologische Landwirtschaft oder verarbeitende Gewerbe sein – je nach Region. Da in Peru jedoch seit der Kolonialisierung alle Strukturen auf dem Abbau und Export von Rohstoffen aufgebaut sind (siehe Eduardo Galeanos fantastisches Buch „Die offenen Adern Lateinamerikas“), ist das kein leichtes Unterfangen. Zwar wurde 2002 ein Ministerium für Produktion gegründet, das sich der Diversifizierung der Wirtschaftbereiche im Land verschrieben hat. Aber das Ministerium ist ähnlich machtlos wie das Umweltministerium, das nur Marionette ist des Bergbauministeriums. Entsprechend ratlos stehen also die Akteure da. Eine konkrete Antwort hat auch Gudynas nicht. Er ist Utopist, Visionär – er malt die Sonne an den Himmel, aber für alle anderen ist der Himmel weit entfernt.

Neulich haben wir Gudynas kennengelernt, als er mit uns in eine Comunidad mit dem so passenden wie unpassenden Namen „El Progreso“ (Fortschritt) gefahren ist, etwa zwei Stunden von Celendín entfernt. Er erzählte den Dorfbewohnern, warum Extraktivismus – massiver Raubbau an der Natur und der Export dieser Rohstoffe – problematisch ist. Den zweiten konkreten Teil, nämlich welche Alternativen es zu dieser Rohstoffausbeutung gibt, überließ er Mattes. Der schaute sich das Dorf mit den Bewohnern per Satellitenbild an und überlegte mit ihnen, wie sie die Zukunft des Dorfes sehen. Gudynas reiste zurück nach Cajamarca, er hatte noch wichtige Termine. Ein kurzer Auftritt eines großen Theoretikers. Wie das den Dorfbewohnern weiterhilft, ist fraglich. Immerhin sind sie bisher geschlossen davon überzeugt, dass der Bergbau in dieser Region nur Nachteile bringen würde.

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Meine Kollegin Hildegard Willer, ebenfalls freie Journalistin, hat Gudynas vor einem Jahr für die taz zum Thema interviewt. Gudynas sagt in diesem Gespräch, dass Peru bei Weitem die wenigste Offenheit für die Debatte um das „Gute Leben“ (Buen Vivir) habe.  Der öffentliche Diskurs im Land sei sehr einseitig von einer engen ökonomischen Sicht geprägt, die sich in den letzten Jahren noch verstärkt habe. Hinzu komme, dass die großen Medien in Peru sehr konservativ und autoritär seien. In Bolivien und Ecuador habe die Debatte viel mehr Kraft, dort werde der Entwicklungsbegriff auch als kultureller Begriff diskutiert.

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Das Dorf der Zukunft

Blog_P1050985Seit einigen Monaten ist Mattes regelmäßig auf dem Land unterwegs, um gemeinsam mit den Partnerorganisationen des Red Muqui Workshops mit der Landbevölkerung zu machen. Sie arbeiten zu Themen wie Nutzung von Naturressourcen, Umweltmonitoring, Alternativen zum Bergbau, Buen Vivir, Empowerment von ländlichen und indigenen Gemeinschaften u.v.m.

Mitte September fuhr Mattes mit seinem Kollegen Edwin und Elki von der NGO CooperAcción nach Huamachuco. Das Dorf liegt fünf Stunden von Trujillo entfernt in den nördlichen Anden (Region La Libertad). Die NGO Proyecto Amigo, ebenfalls Socio des Red Muqui, arbeitet hier mit der Bevölkerung zu Raumordnungsplanung (Ordenamiento Territorial, kurz OT). Blog_P1050893Auf dem Treffen stellten sie ihre Erfahrungen mit Raumplanung vor und informierten die Leute darüber, wie die Nutzung und Verteilung des Landes auf nationaler Ebene gehandhabt wird. Das Problem ist nämlich, dass es keine offizielle Raumordnungsplanung gibt. Anders als in Deutschland, wo das Raumordnungsgesetz genau festlegt, wie Regionen genutzt, entwickelt und gesichert werden sollen, ist das Land in Peru bis auf wenige Ausnahmen (Naturschutzgebiete, religiöse Stätten) fast nirgends registriert. Nur wenige Regionen haben Pläne, die bestimmte Gebiete für bestimmte Tätigkeiten ausweisen. Man macht sich das Land zu eigen, wie es gerade passt – seien es Privatpersonen oder Unternehmen. Darum gibt es in Peru so viele Konflikte um Land: wem gehört das Land im Regenwald, wo comunidades nativas leben ohne offizielle Landtitel und wo Konzerne nach Erdöl bohren? Wer darf das Land nutzen in den Bergen voller Kupfer und Gold, wo die Interessen von Dorfgemeinschaften denen großer Minengesellschaften gegenüberstehen?Blog_P1050917In Huamachuco gibt es einen Berg, der Cerro del Toro genannt wird. Im Berg hat man vor Jahren viel Gold gefunden. Kurz darauf kam der Bergbau in die Region, formell (offiziell registrierte Minengesellschaften) und informell (einfache Goldschürfer ohne Genehmigung). Heute durchwühlen Menschen und Maschinen den Berg und tragen Schicht um Schicht ab, um das kostbare Mineral herauszuholen. Das hat die üblichen Umweltbelastungen mit sich gebracht, Verschmutzungen von Luft und Wasser, Landvertreibungen usw.

Die Comunidad Paranshique liegt gegenüber dieses Berges voller Gold. Man kann die Detonationen hören, wenn das Gold aus dem Berg gesprengt wird, man sieht die Maschinen über den kahlen Berg rollen. Noch schaut das Dorf zu, aber der informelle Bergbau klopft mit seinen Versprechungen bereits an die Türen der Bewohner.

Proyecto Amigo und Red Muqui sind nach Paranshique gefahren und haben die Bewohner eingeladen, ihr Dorf zu kartieren. Sie begannen mit einer einfachen Grundrisskarte, kartierten Flora und Fauna, Naturressourcen und ergänzten ökonomische Details – wo gibt es Landwirtschaft, Märkte, Arbeit? Im letzten Schritt kartierten sie die Konflikte des Dorfes: in welchen Gebieten ist die Arbeitslosigkeit hoch, wo gibt es Migration, Vertreibung oder Umweltverschmutzung?

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Die zentrale Frage des Workshops war: Wie wollt ihr in Zukunft leben? Wie soll euer Dorf in 15 Jahren aussehen? In einer Art Zukunftswerkstatt überlegten die Bewohner, mit welchen konkreten Schritten und Aktivitäten sie ihr Dorf gemeinsam so gestalten können, dass es für sie ein lebenswerter Ort bleibt.

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Eine gemeinsam gestaltete Raumplanung von der Basis aus könnte ein Ansatz sein für Comunidades, in denen der Bergbau bereits um die Ecke lugt und der die Dörfer einzunehmen droht, wenn sie sich nicht zusammensetzen und überlegen, was für ein Leben sie in Zukunft führen wollen. Es ist wichtig, sich schon vorher nach Alternativen zum Bergbau umzuschauen als im Nachhinein zu realisieren, dass der Bergbau den Dörfern nur kurzfristigen Gewinn gebracht hat und danach verbrannte Erde hinterlässt.

Aufgrund der großen Nachfrage wird es im November einen weiteren Workshop in Huamachuco geben.

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Burbujas, Titiriteros und andere Zaubereien

P1050067xWer länger in Lima wohnt, muss zwischendurch mal Luft schnappen. Raus ans Meer oder hoch in die Berge. Liegt ja beides um die Ecke. Weil wir in letzter Zeit so viel Meeresbrise geschnuppert haben, sind wir in die Berge gefahren, nach Tornameza. Das liegt etwa 2 Stunden östlich von Lima – bei wenig Verkehr und bei guter Planung. Auf der Hinfahrt hatten wir beides nicht – die Straßen verstopft und Eva hatte ihre Infos nicht dabei, wann wir wo umsteigen müssen und wo Tornameza überhaupt liegt. So war es ein kleines Abenteuer, bis wir am 30. April spätabends – Walpurgisnacht! – in der Casa de los Titiriteros ankamen, im Haus der Puppenspieler, in einer verwunschenen Welt voller grüner Pflanzen und gurgelndem Wasser des Rímac im Hintergrund, mit duftender Pizza aus dem Lehmofen und Windspielen unterm Sternenhimmel. Die Kinder hatten die Abenteuerfahrt über geschlafen und wachten nun mit großen Augen auf. Das Künstlerkollektiv hatten uns mehrere Freunde empfohlen – gracias Agus, Beto y Pepe! – und hiermit können wir es wärmstens allen weiter empfehlen. Eine Oase voller Fantasie und Magie, voller Theater und Puppenspiel (titeres), Seifenblasen (burbujas) und Musik und warmen Worten überall. Wir haben gezeltet und morgens die Berge in der Morgensonne angeblinzelt, haben Steine bemalt und mit Schuhen jongliert und alte Freunde wiedertroffen und neue Freunde gefunden und gelacht und selbstgebackene Pizza gegessen und nachts die quietschenden Züge gehört, die auf dem Weg in die Berge auf einer riesigen Drehscheibe (Tornamesa), der ältesten in Lateinamerika sogar, in die richtige Richtung gedreht werden, bevor sie über den 4500 Meter hohen Toromocha-Pass ruckeln und irgendwann in Huancayo ankommen. Danke Sergio und Leo und alle anderen Titiriteros für diesen wunderbaren Ort! Aber schaut selbst… P1050074x P1050117x P1050115x P1050105x P1050091x P1050088x P1050079x neu P1050065x P1050060x P1050053x P1050051x P1050046x P1050034x P1050031x P1050022x P1050017xP1050043x

Comundo-Landestreffen in Chaclacayo

Einmal im Jahr treffen sich alle cooperantes von Comundo mit ihren Projektpartnern, um über aktuelle und gemeinsame Themen zu sprechen, zu diskutieren und eine línea de base zu entwickeln, eine Art Grundhaltung zu bestimmten Themen. Dieses Treffen fand Mitte März in Chaclacayo statt, etwa 1,5 Stunden nördlich von Lima. Ein Wiedersehen mit Wuéster, Ulrika und Kori aus Huancayo, mit Pascal, Renate und ihren beiden Kindern und mit Beat aus Cusco. Und ein Kennenlernen der anderen Projektpartner. Fünf intensive Tage Seminar mit Input, Diskussionen und neu entstandenen Arbeitsgruppen. Für die Kinder (Jakob, Ronja, Ida, Rafael und Kori) fünf Tage spielen und toben mit Ana, die für die Kinderbetreuung dabei war.

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Eines der Hauptthemen beim diesjährigen Treffen war die Frage, von welcher Entwicklung wir eigentlich sprechen im Rahmen der Entwicklungs-zusammenarbeit, die wir machen. Es ging um Alternativen zum herkömmlichen Entwicklungsbegriff, um Alternativen zum Extraktivismus (exzessiver Abbau von Naturressourcen) wie er in Peru derzeit betrieben wird, um andere Weltanschauungen wie das andine Buen Vivir.

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Mattes hat mit Javier, dem Direktor des Red Muqui, einen Vortrag gehalten über Alternativen zum Extraktivismus und am Ende des Seminars hat sich eine Arbeitsgruppe zum Thema Buen Vivir gebildet, die bis zum nächsten Treffen im Oktober zu diesem Thema arbeiten wird.

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Hier ein sehr anschauliches Mini-Video der Böll-Stiftung/1-2-3-comics: Was ist Neoxtraktivismus?

 

 

Und am letzten Tag: große Tafel, Luftballons, Konfetti, Torte und Musik! Jakob feiert seinen 4. Geburtstag 🙂

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Gutes Leben ganz ohne Ausbeutung der Natur

Extraktivismus, Post-Extraktivismus und Rechte der Natur. Dazu habe ich in der ersten Arbeitswoche nach dem Sommerurlaub einen Vortrag bei meinen Kollegen im Büro gehalten. Klingt abstrakt. Was verbirgt sich denn dahinter? Ein interessantes Modell, wie eine Gesellschaft und Volkswirtschaft ganz ohne Ausbeutung der Naturressourcen wunderbar zurecht kommen kann. Weshalb, wozu, wie, wann und wo habe ich mich zunächst auch gefragt und ein paar spannende Bücher dazu gelesen. Ein paar zentrale Gedanken dazu möchte ich gerne mit Euch teilen.

 

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In Perú, aber auch in gesamt Lateinamerika, werden seit der Kolonialisierung Naturressourcen (Gold, Kupfer, Erdöl, Guano, usw.) in großem Stil ausgebeutet (bzw. extrahiert, deshalb spricht man von Extraktivismus) und exportiert, vor allem nach Europa. Das war und ist die Grundlage für die europäische industrielle Entwicklung und ihren Wohlstand. Die lateinamerikanischen Länder sollten keine andere geopolitische Rolle spielen in der Weltordnung. Es diente ja der westlichen Entwicklung. Die von außen aufgedrückte und etablierte Abhängigkeit der lateinamerikanischen Länder vom Export und von diesem (Entwicklungs-)Modell hält bis heute noch an. Die Folgen sind neben der einseitigen ökonomischen Entwicklung Umweltbelastung, Landzerstörung und -vertreibung, uvm.

Weitere Infos hierzu sind dieser Artikel über die offenen Adern der Natur und dieses Video der Heinrich-Böll-Stiftung.

Wie kann sich ein Land wie Perú aus dieser strukturellen Abhängigkeit befreien, wie seine Menschen selbstbestimmter über ihren Entwicklungsweg entscheiden und dabei mehr in Einklang mit der Natur leben? Hinter dem Namen Post-Extraktivismus verstecken sich verschiedene reformerische Ideen und Konzepte, wie genau dies erreicht werden kann. Theoretiker wie Eduardo Gudynas und Alberto Acosta haben dazu einiges gedacht und geschrieben. In Ecuador und Bolivien ist diese Debatte, wie auch um Buen Vivir, weit fortgeschritten. Aber auch in Perú – so zum Beispiel beim RedGE (peruanisches Netzwerk für globale Gerechtigkeit) oder beim Red Muqui – wird dazu geforscht und mobilisiert. Und nicht nur aus Entwicklungsperspektive der lateinamerikanischen Länder, sondern auch vor dem Hintergrund der weltweiten Ernährungskrise, des menschgemachten Klimawandels und der vielzähligen Konflikte um Zugang zu Wasser und Land stellen den Extraktivismus und den Neoliberalismus in heftige Kritik.

Post-Extraktivismus bezeichnet eine Abkehr vom westlichen Entwicklungspfad, der ständiges Wachstum zum Ziel hat, auch über natürlich gegebene Grenzen hinaus. Post-Extraktivismus ist inspiriert von indigenen Weltanschauungen (Buen Vivir) und von Konzepten wie Post-Wachstum, De-Growth und Verzicht. Er fordert weniger Export, weniger Abhängigkeit vom Weltmarkt und weniger materiellen Konsum, da dieser ein treibender Faktor für Naturzerstörung ist. Kurz: Weniger ist Mehr. In Deutschland beschäftigt sich mit diesen Konzepten z.B. ein Oldenburger Professor [Nico Paech]. Seine These: „Grünes Wachstum“ gibt es nicht.

Post-Extraktivismus ist nicht nur bloßes Gerede oder Träumerei. Im Gegenteil. In Ecuador und Bolivien sind zum Beispiel die Rechte der Natur bzw. die Pacha Mama („Mutter Erde“ auf Quechua) gesetzlich verankert und Buen Vivir in der Verfassung festgeschrieben. Die konkrete Umsetzung dieser Konzepte steckt jedoch noch in den Kinderschuhen. Die Zeit wird zeigen, inwiefern sich im dominierenden neoliberalen Weltwirtschaftssystem alternative Ideen wirklich entfalten können.

Übrigens werden wir in diesem Jahr mit dem Red Muqui eine Konferenz über Extraktivismus und Landkonflikte organisieren und eine Kampagne zu alternativen Lebensstilen starten. Mehr Infos dazu später…