Vor kurzem bin ich (Eva) nach Iquitos im Departamento Loreto geflogen – zum ersten Mal richtig hinein in den Regenwald, der fast 60 Prozent der Fläche Perus ausmacht. Fliegen war (fast) die einzige Option – man hätte auch 20 Stunden mit dem Bus nach Yurimaguas und dann zwei Tage mit dem Boot fahren können. Eine direkte Straße nach Iquitos gibt es nicht – sie ist die größte Stadt der Welt, die nicht per Landweg zu erreichen ist. Eine Insel mit 400.000 Einwohnern, 30.000 Mototaxis und einer Luftfeuchtigkeit von 90 Prozent. Ein Abenteuer.
Mit im Gepäck hatte ich den Stefan Loose Reiseführer, der für die nächste Ausgabe (2017) aktualisiert werden muss. Mein Auftrag: einen Tag Informationsbüros, Hotels, Restaurants abklappern, Abfahrtszeiten von Booten und Flügen klären und die Lodges im Amazonas überprüfen. Der Autor des Buches, Frank Herrmann, lebt mittlerweile wieder in Deutschland und brauchte Recherche-Unterstützung für das neue Buch. Gerne.
Auch mit dabei war Susanne, eine gute Freundin. Die hatte sich direkt in einer schönen Lodge einquartiert (Muyuna Lodge, ca. 140 Kilometer flussaufwärts des Amazonas). Ich folgte am Sonntag morgen. Vorher lief ich kreuz und quer durch Iquitos, genoß die Hitze und freute mich über die Wirkung der Vitamin-B-Tabletten, die ich in der Woche vor der Abreise genommen hatte: kein einziger Moskito wollte mich verspeisen. Ich dachte an Kuba und fand, dass Iquitos ein ähnliches Flair von verfallener, tropischer Schönheit hat wie Havanna; zu Zeiten des Kautschukbooms in Iquitos Ende des 19. Jahrhunderts wurden prunkvolle Kolonialbauten an den Malecón gesetzt, die noch heute gleichmütig auf den Fluss schauen.
Ich saß am Hafen im Gewusel zwischen dem Ein- und Ausladen der Schiffe und schauteam Abend, als der Himmel tiefblau wurde, auf das spiegelglatte Wasser hinaus. Ich dachte an all die Geschichten und Mythen, die sich um den Amazonas ranken, Filme, die hier gedreht wurden (Fitzcarraldo u.a.), mächtige Pflanzen (Ayahuasca), deretwegen Menschen aus aller Welt hierherkommen. Die Weltanschauung der Bewohner des Amazonasgebietes beruht auf einer starken Verbindung zur Natur. Der Wald atmet, in den Stämmen der Bäume sitzen Geister und in den Tieren die Seelen Verstorbener. Das Wohlergehen der Menschen hängt von der Kontrolle dieser zahllosen übernatürlichen Kräfte ab. Mit Riten und Zeremonien bewahren sie die universale Harmonie, magische Mittel spielen eine wichtige Rolle. „Für uns ist der Regenwald ein lebendiges Wesen“, sagte Albino später, ein Mitarbeiter der Muyuna Lodge, der aus dem nahegelegenen Dorf San Juan kommt.
Am Tag drauf fuhr ich zu Susanne in die Lodge. Zwei Tage versanken wir in der Stille, in allen Schattierungen von Grün, wir stapften in Gummistiefeln durch das Dickicht und begegneten nachts Skorpionen, goldenen Riesenfröschen und winzigen Fröschen von der Größe eines kleinen Fingernagels, perfekt geformt. Spinnen, die ein ganzes Sternenfirmament auf ihrem Rücken trugen. In den Baumwipfeln keckerten Affen und auf dem Weg zu einer Lagune, in der wir uns in schwimmenden Pflanzen verhedderten und beinahe steckengeblieben wären, wenn wir nicht alle mit der Machete mitgeholfen, um uns daraus zu befreien und mit den Händen in den grünen Teppich gegriffen und die Pflanzen zur Seite geschleudert hätten, die unter Wasser warm und modrig waren und vor Spinnen trieften; erst als sich die Nacht auf den Regenwald legte wie ein sternengesprenkeltes schwarzes Tuch, kamen wir in der Lodge an – also auf dem Weg zur Lagune trafen wir dieses herrlich entschleunigtes Faultier, das sich so wunderbar träge bewegte, dass es aussah, als falle es bei der nächsten Bewegung vom Baum und zu uns ins Boot. Als wir zurückfuhren nach Iquitos, da schauten aus dem Amazonas die Rücken der berühmten rosa Flussdelfine heraus.
Es war ein erster Blick in dieses grüne Universum, das von so vielen Seiten bedroht wird (Abholzung, Monokulturen von Palmöl-Plantagen). Wir werden wiederkommen. Spätestens zum Panamazonischen Sozialforum (Foro Social Panamazónico) im April 2017.