Fast zu schön, um Mai zu sein

IMG_0404_AussschnittWährend die Farben des Himmels heute von tiefgrau zu bleigrau zu weißgrau wechseln, schreiben wir hier einen Nachruf auf den Sommer, der noch gar nicht so lange her ist. Denn wie schon im letzten Jahr haben uns die Ausläufer von El Niño Sonnentage bis in den Mai beschert. In dieser Zeit hatten wir Besuch von Freunden aus Kolumbien, die kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes ein wenig Meeresbrise schnuppern (und natürlich auch uns sehen) wollten, was sie wegen des Zika-Virus in Kolumbien derzeit nicht so gut machen können. Sie bekamen fünf Tage feinsten blauen Himmel und Licht so gleißend wie das Gold der Inka und abends versank die Sonne glühend rot im Pazifik, es hätten nur noch schmalzige Gitarrenklänge gefehlt. Wir fühlten uns wie im Urlaub, mitten in der Stadt. Einmal fuhren wir raus in den Süden und landeten in Pucusana und Punta Hermosa. Punta Hermosa heißt schöne Spitze. Und es war spitze.

Nun sind die Freunde wieder in Bogotá und hier ist es kalt geworden. Aber wir sind unbekümmert, denn mit dem Ende des Sommers beginnen unsere Reisen in die Berge, wo in diesen Monaten der Himmel klar ist. Heute abend fahren wir mit Kindern und Freundinnen zum Selvámonos Festival nach Oxapampa. Dazu bald mehr. Bis dahin: schöne Sonnentage euch allen, in echt oder im Kopf!

IMG_669420160506_151436

 

 

 

 

IMG_6719IMG_6737

 

 

 

 

IMG_0405IMG_0376

 

Klingende Kisten und Kieferknochen – Música Afroperuana

afroperuIn Lima finden ständig Festivals statt: Festival del Cine, Festival Internacional de Danza Nueva, Feria Internacional de Libros, Festival Jazz. Zur Zeit läuft das Festival de la Música Afroperuana. Den gesamten Juni gibt es immer donnerstags Konzerte in der Bar La Noche in Barranco, Samstags gratis Kurse zum Mitmachen zu Percusión Afroperuana, Zapateo (eine Art Steptanz) Afroperuano und Danzas Afroperuanos. Ein kleines Schatzkästchen voller Musik, Tanz und Bewegung.

Die Wiege der afroperuanischen Kultur liegt an der Pazifikküste. Über die Karibik und Brasilien landeten damals knapp 100.000 afrikanische Sklaven im damaligen spanischen Vizekönigkreich, verschleppt in Schiffen, die „Ataúd“ (Sarg) genannt wurden. Die Kolonialherren brauchten sie als Arbeitskräfte, weil die Zahl der indigenen Bevölkerung durch eingeschleppte Krankheiten, Misshandlungen und härteste Arbeitsbedingungen drastisch gesunken war. Hunderttausende starben in den Minen des Hochlandes und auf den Plantagen an der Küste.  Den Sklaven aus Westafrika erging es nicht anders. Viele hunderte Jahre später, im Jahr 2009, entschuldigte sich Perus damaliger Präsident Alan García offiziell bei der schwarzen Bevölkerung Perus und sagte, dass die Sklaverei „die schrecklichste Ungerechtigkeit in der Geschichte der Menschheit“ sei. Er bat um Verzeihung für die seit Abschaffung der Sklaverei im Jahre 1856 erlittene Ausgrenzung innerhalb der Bevölkerung Perus.

Heute sind die Afroperuaner*innen zwar gleichberechtige Staatsbürger, aufgrund ihrer Hautfarbe aber immer noch mehr oder weniger offenem Rassismus ausgesetzt. Die meisten von ihnen leben in ärmlichen Verhältnissen, der Zugang zu höherer Bildung bleibt ihnen verwehrt. Nur wenige schaffen es durch harte Arbeit, Glück und/oder musikalisches Talent, den Teufelskreis der Armut zu durchbrechen. Einige Initiativen wie „Perú sín discriminación“ (Peru ohne Diskriminierung) oder „Alerta contra el Racismo“ (in etwa: keine Chance für Rassismus) setzen sich gezielt für die Rechte der Betroffenen ein, es gibt Anti-Diskriminierungsgesetze, aber bis heute ist Peru ein Land mit einem stark ausgeprägten Klassensystem, in dem viele weiße Menschen viel besitzen und leiten (Unternehmen, Immobilien, Geld) und schwarze Menschen ausführen und bedienen (als Busfahrer, Haushälterinnen, Arbeiter).

Festival Internacional del Cajón Peruano

Festival Internacional del Cajón Peruano

Aber zurück zur Musik. Damals hatten die Sklaven ihre Musik und ihre Trommeln mitgebracht nach Peru, ein wichtiges Element in der Gemeinschaft der Afroperuaner*innen. Als die Sklavenbesitzer ihnen die Trommeln wegnahmen, weil sie als Kommunikationsmittel mit den afrikanischen Göttern schief beäugt wurden, mussten Transportkisten für Fische oder Orangen als Ersatz herhalten, Vorläufer der heutigen Cajones (Holzkisten). Der Cajón ist heute das zentrale Instrument in der afroperuanischen Musik, auf dem sitzend mit den Händen getrommelt wird. Manchmal werden auch Cencerros, eine Art Kuhglocke als Instrument verwendet, Gitarren, Löffel, ein Schrapidiophon (ein Flaschenkürbis mit Rillen, über den man mit einem Stock reibt) oder auch der Kieferknochen eines Esels (siehe Bild ganz oben),

Afroperuanische Musik begann im Verborgenen, vor allem in den Palenques, informellen Gemeinschaften, die von geflüchteten Schwarzen gegründet wurden. Lange wurde die afroperuanische Musik mit kreolischer Musik (música criolla) gleichgesetzt, die europäische Walzer- und Polkaelemente des 19. Jahrhunderts mit neueren Stilformen wie Tango, Bossanova und Jazz verband. Erst in den 1950er Jahren gelang es den afroperuanischen Musiker*innen, eine eigenständige Musikszene zu gestalten. Die Geschwister Victoria und Nicomedes Santa Cruz haben mit ihrem politischen Kampf für die Anerkennung der afroperuanischen Musik wesentlich dazu beigetragen, dass die „Cultura Negra“ in dieser Zeit wieder aufblühen konnte. Die heute bekannteste Vertreterin afroperuanischer Musik ist die Sängerin Susana Baca, die 2002 den Grammy Latino gewann und 2011 unter der Regierung Humalas zur Kulturministerin des Landes ernannt wurde. Manche kennen sie vielleicht aus dem Musikvideo „Latinoamérica“ der puerto-ricanischen Band Calle 13, einem sagenhaft schönen Lied / Video. Hier könnt ihr es anschauen, für wenig-Spanisch-Sprechende extra mit Untertiteln 🙂

Und hier noch ein Video von einer der bekanntesten und ältesten (gegründet 1969) afroperuanischen Gruppen, Perú Negro

Alltagsgeschichten

1Eine unserer Leser*innen hat uns gefragt, ob wir ein bißchen von unserm Alltag als deutsche Familie in Lima erzählen können. Das tun wir gerne. Hier also ein paar Eindrücke nach zwei Jahren:

Als wir mit unseren sieben Koffern, Laufrad, Kinderwagen und diversen Rucksäcken im August 2014 in Peru ankamen, war einiges vertraut und einiges neu. Vertraut war, dass wir schon diverse Male in Lateinamerika waren, in Ecuador, Bolivien, Kuba. Wir sprachen Spanisch, kannten und liebten Salsa und Cumbia, hatten bereits Cuy (Meerschweinchen) gegessen, waren unabhängig voneinander zum Machu Picchu geklettert und in knatternden Mototaxis (zu Taxis umgebaute dreirädrige Motorräder) durch die Gegend gefahren. Neu war, dass wir hier mit zwei Kindern, sieben Koffern und der Aussicht standen, einige Jahre hier zu bleiben und uns allmählich einen Alltag in der 10-Millionen-Stadt Lima aufzubauen.

Die ersten Monate waren eine Zeit der Orientierung, ein Auf und Ab der Gefühle, der Überforderung mitunter, der Suche: nach einer Wohnung,  einer geeigneten Kita, nach Fahrradwegen, Freunden. Wir hatten Glück und fanden eine schöne Wohnung, eine wunderbare Kita, wir kauften Fahrräder und fanden Fahrradwege, Freunde und Bekannte. Die wichtigsten Begleiterinnen in diesen Monaten:  Geduld und Zuversicht. Dass sich schon alles finden wird. Manches früher, manches später.

Und heute? Vieles ist so normal geworden, dass es uns gar nicht mehr auffällt. Manches fällt uns immer noch auf: dass wir (anders als in z.B. derzeit in Europa) als Ausländer*innen herzlich aufgenommen werden. Nur ein brummeliger Nachbar blafft uns jedesmal mit einem herzlichen „Gringos!“ an, alle anderen sind interessiert, offen, neugierig. Deutschland gilt vielen als gelobtes Land, das Sicherheit und Perspektiven verspricht. Dass das nicht immer so ist und der politische Kurs in Deutschland gerade eher besorgniserregend ist, ist eine andere Geschichte.

Parque del Amor, Miraflores

Parque del Amor, Miraflores

3

Blick aus dem Wohnzimmer, Jesús María

 

 

 

 

 

Uns ist bewusst, dass wir trotz unseres für deutsche Verhältnisse sehr bescheidenen Gehalts hier ziemlich privilegiert leben. Wir haben eine wunderschöne große Wohnung, die wir uns mit Freunden teilen, wir können die Kinder in eine für peruanische Verhältnisse recht teure Kita schicken, im Taxi herumfahren, regelmäßig unsere Babysitterin anfragen, Essen gehen, verreisen. Wir haben über unseren Entwicklungshelfervertrag eine Krankenversicherung, die für viele Peruaner*innen völlig unerschwinglich wäre. Eine gute medizinische Versorgung kostet hier viel viel Geld. Es gibt einige staatliche Krankenversicherungen, aber die decken nur einen Bruchteil ab von dem, was viele in Deutschland an medizinischer Versorgung gewöhnt wären. Oft sammeln Freunde und Familie das Geld für die Betroffenen zusammen. Ich hatte vorher nie darüber nachgedacht, dass man selbst in der Notaufnahme erst einmal Bares auf den Tisch legen muss, um überhaupt behandelt zu werden.

Wir wissen um diese Privilegien und versuchen so gut es geht,  andere daran teilhaben zu lassen und den Blick auf die vielen anderen Gesichter der Stadt und in der Stadt nicht zu verlieren. Als sogenannte Expats (hierzu ein lesenswerter englischer Artikel aus dem Guardian) könnten wir es uns auch in unserer Privilegienblase gemütlich machen. Aber Lima ist mehr als Miraflores und Barranco.

Und sonst so? Wir fallen immer wieder auf als diejenigen, die im Supermarkt Jutebeutel auspacken und ihre Einkäufe ohne Plastik einpacken. Wir werden bestaunt als unerschrockene Fahrradfahrer. Über unseren Brotkonsum (wir backen selber) macht unsere peruanische Mitbewohnerin Milena immer noch große Augen. Passanten bleiben stehen, wenn Ronja mit ihren blonden Haaren und blauen Augen vorbeiläuft, „que preciosa!!“ rufen sie, wie wunderschön! und „una muneca“, eine Puppe! Nur Leo, unser 4-jähriger Freund aus der Kita sticht mit seiner wilden Mähne von roten Korkenzieherlocken noch mehr aus der Menge.

Kindergeburtstag in Barranco

P1070466

Bei Freunden in San Juan de Lurigancho

Es gibt immer wieder Momente, in denen uns Unterschiede auffallen. Wie Menschen Kindergeburtstage feiern. Oder Weihnachten. Welche Bedeutung Familie hat. Was man alles essen kann (Meerschweinchen, Augen in der Suppe, Maden im Regenwald). Wie man (nicht) Nein sagt. Das bleibt spannend. Und dann gibt es all diese vielen Momente, die am Anfang neu waren – Emoliente de Quinoa trinken am Straßenstand auf dem Weg zur Arbeit, im Mototaxi zu Freunden tuckern, an Weihnachten Tshirts tragen, Salsa tanzende Senioren in der Nachbarschaft – die mittlerweile Alltag sind.

Es gibt einen schönen Text, den ich auf Nachbereitungsseminaren von Auslandsaufenthalten oft vorgelesen habe, da heißt es „Es machte mich glücklich, wie schnell das Gefühl aufkam, dass es am Ende doch egal war, ob man nun in Paris oder Perth, Amsterdam oder Amman lebte. Das Eingewöhnen dauert hier eventuell länger als dort, die Blicke auf der Straße sind dort vielleicht intensiver als hier, aber am Ende kann jeder dieser Orte ein Zuhause sein. Ich spürte dem Wegsein nach (…) wie es sich anfühlte und was es mit mir machte. Gegen Ende meines Aufenthaltes filterte ich heraus, was ich am Schönsten daran fand und was eventuell das sein könnte, was viele so schön an Auslandsaufenthalten finden. Es war nicht etwa, all das Neue zu sehen oder zu erleben, das konnte man auch in zwei bis vier Wochen Urlaub haben. Es war dieses langsame Werden eines Zuhauses, das Aufkommen eines Alltags, in dem manche Dinge Selbstverständlichkeiten wurden, in dem viele andere Dinge Selbstverständlichkeiten blieben“.

Es ist ein Kuczynski!

Nach fünf Tagen mühevollen Auszählens der knapp 20 Millionen Wahlzettel ist es endlich entschieden: der neue Präsident Perus für die nächsten fünf Jahre heißt Pedro Pablo Kuczynski (PPK). Mit einem minimalen Vorsprung von 0,2 Prozent oder knapp 40.000 Stimmen gewann er gegen seine Konkurrentin Keiko Fujimori.

peru1 peru1

 

 

 

 

 

 

 

peru4peru2

 

 

 

20 Millionen Peruaner*innen haben gewählt

Die ersten Hochrechnungen nach der Wahl gab es bereits am Montag, aber dann verlangsamte sich der Prozess. 78,2 Prozent ausgezählt, 88,4 Prozent, 92,4 Prozent…Den Peruanern wurde einiges an Geduld abverlangt. In den sozialen Medien kursierten Memes und Karikakturen, die das zähe Voranschreiten der Auszählungen der Wahlzettel auf die Schippe nahmen und schläfrige Faultiere am Computer zeigten oder den 77-jährigen Kuczynski als Mumie, der immer noch auf das Wahlergebnis wartet. Die letzte Aktualisierung gab es schließlich am Donnerstag vormittag – mit 99,991 Prozent verarbeiteten und 99,532 Prozent vorliegenden Wahlzetteln.

Die Langwierigkeit hatte aber seine guten Gründe: die Stimmzettel aus der gesamten Welt müssen im  Original bei der peruanischen Wahlbehörde ONPE vorliegen, um Wahlbetrug und -fälschung vorzubeugen. In Peru herrscht Wahlpflicht. Da eine halbe Million Peruaner*innen im Ausland leben, musste die Wahlbehörde warten, bis die Wahlzettel aus den verschiedenen Ländern, von Deutschland über Mazedonien, Ghana, Japan bis Neuseeland mit dem Flugzeug eingetroffen waren. Auch aus den entlegenen Regionen Perus wie aus dem Tal der Flüsse Apurímac, Ene und Mantaro (Vraem) verzögerte sich die Ankunft der Wahlstimmen.
Nun ist es also ein Kuczynki geworden. Viele Peruaner*innen sagen, dass nicht er gewonnen habe, sondern die „No a Keiko“-Bewegung, Kuczynski als das geringere Übel sozusagen. Abzuwarten ist, wie Keiko reagieren wird. Fechtet sie das Wahlergebnis an? Oder konzentrieren sich die Fujimoris auf 2021, wenn Keikos Bruder Kenji Fujimori kandidieren soll? Es bleibt spannend.

Ihr Name ist Fujimori

congresodelperuu_1Am Sonntag fand die Stichwahl zwischen den beiden Präsidentschaftskandidaten in Peru statt – der konservativen Keiko Fujimori (40) und dem liberalen Pedro Pablo Kuczynski (77). Einer von beiden wird in den nächsten fünf Jahren als Präsident*in den politischen Kurs des Landes maßgeblich mitbestimmen.

Nach ersten Hochrechnungen am Sonntag abend lag Kuczynski mit 51,5% ganz knapp vor Keiko. Seitdem sind zwei Tage vergangen und der Abstand zwischen den beiden Kandidaten hat sich in der Zwischenzeit auf 0,5 Prozentpunkte verringert – laut bisheriger Wahlergebnisse haben 50,15 % für Kuczynski gestimmt und 49,85 % für Keiko. Aber ist das so? Im Radio wird debattiert, welchen Einfluss Keiko und ihre Wahlmannschaft auf die Auswertung der Ergebnisse haben könnte und warum sich die Auswertung der Wahlzettel seit anderthalb Tagen so drastisch verlangsamt hat. Diejenigen, die in den letzten Wochen und Monaten zu Tausenden auf die Straße gegangen sind, um gegen die Kandidatur Keikos zu protestieren (auch ihr wurde vorgeworfen, Wählerstimmen gekauft zu haben), haben bereits angekündigt, zu Hunderttausenden auf die Straßen zu gehen, sollte Keiko dieses merkwürdige Kopf-an-Kopf-Rennen doch gewinnen.

keikoookeikonova

 

 

In Peru finden die Präsidentschafts- und Kongresswahlen getrennt statt. Die Wahlen des Kongresses fanden bereits im April statt. Mit ihrer Partei Fuerza Popular (Volks-Kraft) hat Keiko 72 Sitze gewonnen und wird so oder so einen entscheidenen Einfluss auf die künftige Politik des Landes haben. Der ehemalige Wirtschaftsminister Kuczynski hat mit seiner Partei Peruanos por el Kambio (PKK), Peruaner für den Wandel, nur rund 25 Sitze.

Die Rechtspopulistin Keiko Fujimori und Tochter des autoritären früheren Präsidenten Alberto Fujimori, der die Demokratie ausgehebelt hatte und später wegen Korruption und Menschenrechtsverletzungen zu 25 Jahren Haft verurteilt wurde, spaltet das Land. Denn Keiko Fujimori ist nicht einfach nur die Tochter von Alberto Fujimori. Nach der Scheidung ihrer Eltern wurde sie 1994 als 19-Jährige an der Seite ihres Vaters zur jüngsten First Lady Lateinamerikas. Sie war an seiner Seite, als er 1992 in einem Selbstputsch den Kongress auflöste und die Gerichte entmachtete. Das autoritäre Regime Fujimoris ist den Peruanern noch sehr präsent und damit auch die Erinnerungen an außergerichtliche Exekutionen, Zwangssterilisierungen als Mittel der Armutsbekämpfung, Einschränkung der Medienfreiheit, Wahlbetrug und Korruption. Für viele Peruaner steht der Name für eine dunkle Zeit, in der die Menschenrechte und die Demokratie mit Füßen getreten wurden, für fast die Hälfte aller Peruaner*innen ist die Tochter des ehemaligen Präsidenten auf keinen Fall wählbar.

Wunsch nach harter Hand

Fujimori begann nach ihrer ersten Präsidentschaftskandidatur 2011 (damals scheiterte sie knapp gegen den noch amtierenden Präsidenten Ollanta Humala), sich vom Image ihres Vaters zu distanzieren und seine „Fehler und Verbrechen“ öffentlich anzuprangern. Sie ist sich aber auch bewusst, dass für viele Peruaner*innen der Name Fujimori mit Neuanfang verbunden ist, mit Ordnung und Aufschwung. Peru stand am wirtschaftlichen Abgrund, als Alberto Fujimori 1990 an die Macht kam. Marktfreundliche Reformen, Privatisierungen und weitreichende Sozialprogramme brachten Peru auf den wirtschaftlichen Erfolgskurs zurück, von dem bis heute gerne und stolz die Rede ist. Gleichzeitig beendete Fujimori in seiner Amtszeit weitgehend den Terror der Guerillaorganisation Sendero Luminoso. Dass seine Regierung und das äußerst brutale Vorgehen des Militärs selbst für den Tod von Tausenden Zivilisten und Unschuldigen verantwortlich ist, ist ein anderes Thema (dazu bald mehr im Beitrag zur Bürgerkriegsgedenkstätte Lugar de la Memoria).

Für viele Peruaner*innen steht der Name Fujimori daher bis heute für eine Verbesserung ihrer Lebensumstände. Sie hoffen, dass Keiko mit ähnlich harter Hand regieren wird wie ihr Vater, um Probleme wie Kriminalität und Wirtschaftsstagnation in den Griff zu bekommen. Es bleibt zu bezweifeln, ob das eine gute Entscheidung war.

Hier eine sehr sehenswerte Doku/Videobiografie „Su nombre es Fujimori“ (Sein/Ihr Name ist Fujimori, Regisseur: Fernando Vílchez) über den Einfluss, den die Familie Fujimori auf das Schicksal Perus gehabt hat. Gegen das Vergessen.

In den Sümpfen von Lima

RVSL_00321Das Wochenende liegt vor der Tür. Wir wollen raus aus der Stadt, einen Ort entdecken, den wir noch nicht kennen. Die Sümpfe von Villa, schlägt meine Freundin vor. Sümpfe? Ich spitze die Ohren. Sümpfe klingen gut. Wir packen die drei Kinder ein, Schaufeln, einen Eimer, eine Lupe, eine Tasche für Schätze, die wir unterwegs finden könnten und Picknicksachen. Schon im Auto sind alle Brote verputzt. Über den Circuito de Playas, eine Art Stadtautobahn direkt am Meer, kommen wir recht schnell nach Chorillos. Bald haben wir die Pantanos de Villa erreicht, ein knapp 300 Hektar großes Naturschutzgebiet. Es besteht aus Sümpfen, verzweigten Wasserstraßen, Wasserpflanzen, viel Schilf und bietet Abertausenden von Vögeln ein Zuhause. 154 verschiedene Vogelarten wurden hier identifziziert, die Hälfte davon sind Zugvögel aus dem Norden, die ab Oktober in den Sümpfen eintreffen und hier überwintern.

698892

Wir stapfen hinein in die Sümpfe, werden von vorbeiziehenden Schulklassen fotografiert (drei blonde Kinder!), klettern einen Aussichtsturm hinauf, dann machen wir uns auf die Suche nach den Booten. Dani, Mitarbeiterin von PROHVILLA, der städtischen Schutzbehörde für die Sümpfe von Villa, führt uns hin. Sie rudert uns eine Runde durch eine der Lagunen, „die einzige, die zugänglich ist für Besucher“, sagt sie, „sonst hätten die Vögel gar keine Ruhe“. Sie sagt, dass die Stadt viel mehr tun müsse, um die Sümpfe zu schützen. Früher war das Gebiet 1200 Hektar groß und reichte bis Pachacámac. Heute wird das Gebiet an allen Enden zugebaut, immer wieder findet man Müll, das Wasser ist längst nicht so sauber wie es sein sollte, zuviel Abwässer und Rückstände der Stadt und der Fabriken am Fluss fließen in die Sümpfe. Das Team von PROHVILLA plant gerade, mehr Umweltbildungsprojekte in den umliegenden Stadtteilen und Schulen zu machen.“Eso es un tesoro“ sagt Dani, dieses Gebiet ist ein Schatz, direkt vor der Haustüre von Lima. Hoffentlich verschwindet es nicht.

Schließlich fahren wir die paar Kilometer weiter ans Meer. Wir haben den Strand für uns alleine, kein Mensch ist weit und breit zu sehen. Ein paar Vögel schauen uns zu, wir schauen ihnen zu. Sammeln Federn, Steine und ausgewaschenes Treibholz und verstauen alles in der Schatz-Tasche. Machen Picknick, hüpfen in die Wellen und staunen, wie viel Wasser, wie viel Grün, wie viel Natur es auch in Lima gibt. Man muss nur wissen wo.

kl20160528_130448kl20160528_130750kl20160528_152142

 

kl20160528_152741kl20160528_152943