Eine unserer Leser*innen hat uns gefragt, ob wir ein bißchen von unserm Alltag als deutsche Familie in Lima erzählen können. Das tun wir gerne. Hier also ein paar Eindrücke nach zwei Jahren:
Als wir mit unseren sieben Koffern, Laufrad, Kinderwagen und diversen Rucksäcken im August 2014 in Peru ankamen, war einiges vertraut und einiges neu. Vertraut war, dass wir schon diverse Male in Lateinamerika waren, in Ecuador, Bolivien, Kuba. Wir sprachen Spanisch, kannten und liebten Salsa und Cumbia, hatten bereits Cuy (Meerschweinchen) gegessen, waren unabhängig voneinander zum Machu Picchu geklettert und in knatternden Mototaxis (zu Taxis umgebaute dreirädrige Motorräder) durch die Gegend gefahren. Neu war, dass wir hier mit zwei Kindern, sieben Koffern und der Aussicht standen, einige Jahre hier zu bleiben und uns allmählich einen Alltag in der 10-Millionen-Stadt Lima aufzubauen.
Die ersten Monate waren eine Zeit der Orientierung, ein Auf und Ab der Gefühle, der Überforderung mitunter, der Suche: nach einer Wohnung, einer geeigneten Kita, nach Fahrradwegen, Freunden. Wir hatten Glück und fanden eine schöne Wohnung, eine wunderbare Kita, wir kauften Fahrräder und fanden Fahrradwege, Freunde und Bekannte. Die wichtigsten Begleiterinnen in diesen Monaten: Geduld und Zuversicht. Dass sich schon alles finden wird. Manches früher, manches später.
Und heute? Vieles ist so normal geworden, dass es uns gar nicht mehr auffällt. Manches fällt uns immer noch auf: dass wir (anders als in z.B. derzeit in Europa) als Ausländer*innen herzlich aufgenommen werden. Nur ein brummeliger Nachbar blafft uns jedesmal mit einem herzlichen „Gringos!“ an, alle anderen sind interessiert, offen, neugierig. Deutschland gilt vielen als gelobtes Land, das Sicherheit und Perspektiven verspricht. Dass das nicht immer so ist und der politische Kurs in Deutschland gerade eher besorgniserregend ist, ist eine andere Geschichte.

Parque del Amor, Miraflores

Blick aus dem Wohnzimmer, Jesús María
Uns ist bewusst, dass wir trotz unseres für deutsche Verhältnisse sehr bescheidenen Gehalts hier ziemlich privilegiert leben. Wir haben eine wunderschöne große Wohnung, die wir uns mit Freunden teilen, wir können die Kinder in eine für peruanische Verhältnisse recht teure Kita schicken, im Taxi herumfahren, regelmäßig unsere Babysitterin anfragen, Essen gehen, verreisen. Wir haben über unseren Entwicklungshelfervertrag eine Krankenversicherung, die für viele Peruaner*innen völlig unerschwinglich wäre. Eine gute medizinische Versorgung kostet hier viel viel Geld. Es gibt einige staatliche Krankenversicherungen, aber die decken nur einen Bruchteil ab von dem, was viele in Deutschland an medizinischer Versorgung gewöhnt wären. Oft sammeln Freunde und Familie das Geld für die Betroffenen zusammen. Ich hatte vorher nie darüber nachgedacht, dass man selbst in der Notaufnahme erst einmal Bares auf den Tisch legen muss, um überhaupt behandelt zu werden.
Wir wissen um diese Privilegien und versuchen so gut es geht, andere daran teilhaben zu lassen und den Blick auf die vielen anderen Gesichter der Stadt und in der Stadt nicht zu verlieren. Als sogenannte Expats (hierzu ein lesenswerter englischer Artikel aus dem Guardian) könnten wir es uns auch in unserer Privilegienblase gemütlich machen. Aber Lima ist mehr als Miraflores und Barranco.
Und sonst so? Wir fallen immer wieder auf als diejenigen, die im Supermarkt Jutebeutel auspacken und ihre Einkäufe ohne Plastik einpacken. Wir werden bestaunt als unerschrockene Fahrradfahrer. Über unseren Brotkonsum (wir backen selber) macht unsere peruanische Mitbewohnerin Milena immer noch große Augen. Passanten bleiben stehen, wenn Ronja mit ihren blonden Haaren und blauen Augen vorbeiläuft, „que preciosa!!“ rufen sie, wie wunderschön! und „una muneca“, eine Puppe! Nur Leo, unser 4-jähriger Freund aus der Kita sticht mit seiner wilden Mähne von roten Korkenzieherlocken noch mehr aus der Menge.

Kindergeburtstag in Barranco

Bei Freunden in San Juan de Lurigancho
Es gibt immer wieder Momente, in denen uns Unterschiede auffallen. Wie Menschen Kindergeburtstage feiern. Oder Weihnachten. Welche Bedeutung Familie hat. Was man alles essen kann (Meerschweinchen, Augen in der Suppe, Maden im Regenwald). Wie man (nicht) Nein sagt. Das bleibt spannend. Und dann gibt es all diese vielen Momente, die am Anfang neu waren – Emoliente de Quinoa trinken am Straßenstand auf dem Weg zur Arbeit, im Mototaxi zu Freunden tuckern, an Weihnachten Tshirts tragen, Salsa tanzende Senioren in der Nachbarschaft – die mittlerweile Alltag sind.
Es gibt einen schönen Text, den ich auf Nachbereitungsseminaren von Auslandsaufenthalten oft vorgelesen habe, da heißt es „Es machte mich glücklich, wie schnell das Gefühl aufkam, dass es am Ende doch egal war, ob man nun in Paris oder Perth, Amsterdam oder Amman lebte. Das Eingewöhnen dauert hier eventuell länger als dort, die Blicke auf der Straße sind dort vielleicht intensiver als hier, aber am Ende kann jeder dieser Orte ein Zuhause sein. Ich spürte dem Wegsein nach (…) wie es sich anfühlte und was es mit mir machte. Gegen Ende meines Aufenthaltes filterte ich heraus, was ich am Schönsten daran fand und was eventuell das sein könnte, was viele so schön an Auslandsaufenthalten finden. Es war nicht etwa, all das Neue zu sehen oder zu erleben, das konnte man auch in zwei bis vier Wochen Urlaub haben. Es war dieses langsame Werden eines Zuhauses, das Aufkommen eines Alltags, in dem manche Dinge Selbstverständlichkeiten wurden, in dem viele andere Dinge Selbstverständlichkeiten blieben“.
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