Reggae im Regenwald

1Vor ziemlich genau einem Jahr haben wir einmal ein paar Tage im „Zillertal des Regenwaldes“ verbracht. Oxapampa ist eine deutsche Siedlung in der Selva Central, etwa 12 Stunden (einmal über die Anden) von Lima entfernt. Es war eine seltsame Mischung aus Palmen und Trachten, Bananenplantagen und Blasmusik, Holzhüttenromantik und zirpenden Zikaden.

Nun haben wir uns erneut auf den Weg nach Oxapampa gemacht, zum jährlich stattfindenden Festival Selvámonos. Es sei ein bißchen wie das Fusion-Festival, hatten uns Freunde vorab erzählt. Es gebe tolle Musik, Zirkus und Akrobatik, Theater und Workshops. Also Rucksack gepackt, Kinder eingepackt und mit drei Freundinnen ab nach Oxapampa. So war der Plan. Aber dann wurde Ronja in allerletzter Minute krank, Mattes blieb kurzerhand mit den Kindern in Lima, ich packte den Rucksack wieder aus und einen Tagesrucksack ein und fuhr alleine bzw. mit den drei Freundinnen. Das war sehr schade, bedeutete aber auch unverhoffte Freiheit. Danke noch einmal dafür, Mattes!

Wir hatten wie im letzten Jahr eine Cabaña in der D’Palma Lodge gebucht, die Kinder fanden damals das Trampolin und den Mini-Pool phänomenal gut, wir die Terrasse, das Grün und das enorme Frühstücksbuffet. Diesmal war allerdings kein Trampolin aufgebaut und das Frühstücksbuffet war zu einem kleinen Brot-Butter-Marmelade-Snack geschrumpft. Nochmal schade.

10Wunderschön war allerdings das Festival. Ein bunter Haufen aus Bühnen, Zelten, Wimpeln, eine überschaubare Menge von Menschen, vielleicht 2000. Ganz früher waren wir oft auf dem Hurricane (bei Bremen) gewesen, später auf der zauberhaften, aber immer größer werdenden Fusion an der Mecklenburgischen Seenplatte. Mit Ronja hatte ich zuletzt dem Theaterfestival at.tension einen Besuch abgestattet. Jetzt also das Selvámonos. Das bescherte uns eine feine Mischung aus Cumbia, Salsa, Ska und Reggae, ein bißchen Rock und ein bißchen Hiphop. Wir schwangen die Tanzbeine, hüpften in den Nachthimmel, aßen Yuca-Lasagne und tranken Bier aus überdimensionierten Festival-Bechern. Fantastisch.

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Tagsüber erkundeten wir bekannte und unbekannte Orte in der Umgebung: den Wasserfall El Tigre, den Fluss an der Casa Oxapampina, wo der sprechende Papagei wohnt, da trafen wir zwei Brüder, die mit ihren Motorrädern von Lima aus über die Anden gefahren waren, sie nahmen uns spontan mit auf ihren Rädern und zeigten uns, wo es leckeres Maisbier und gebratene Forelle gibt. Am letzten Tag wanderten wir in der Mittagshitze in den Nationalpark Yanachaga-Chemillén, aber weil der Weg weiter war als gedacht, kamen wir nur knapp bis zum Eingang des Parks, machten dort eine Pause im grünen Blätterwald und kehrten dann um. Unterwegs trafen wir eine Herde Kühe und einen einsamen Hund, der uns vor Freude ansprang, abschleckte und Stöckchen apportierte.

In rasanten neun Stunden (statt zwölf) brachte uns der Bus schließlich durch die Nacht zurück nach Lima. Kaum angekommen, musste ich mich mit Grippe ins Bett legen, gleich neben die Kinder. Mattes hatte jetzt also drei Kranke zu pflegen. Als wir wieder auf den Beinen waren, haute es Mattes um. Das war nicht fair. Aber jetzt sind wir alle wieder gesund. Gerade rechtzeitig, denn morgen abend fahren wir in die Cordillera Blanca, um eine Studentengruppe bei ihren Recherchen zum Thema Bergbau zu begleiten (Mattes), Reiseführer-Recherchen zu machen (Eva) und die Kita-Ferien zu genießen (Jakob und Ronja).

Ihr hört von uns. Bis dahin!

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Klingende Kisten und Kieferknochen – Música Afroperuana

afroperuIn Lima finden ständig Festivals statt: Festival del Cine, Festival Internacional de Danza Nueva, Feria Internacional de Libros, Festival Jazz. Zur Zeit läuft das Festival de la Música Afroperuana. Den gesamten Juni gibt es immer donnerstags Konzerte in der Bar La Noche in Barranco, Samstags gratis Kurse zum Mitmachen zu Percusión Afroperuana, Zapateo (eine Art Steptanz) Afroperuano und Danzas Afroperuanos. Ein kleines Schatzkästchen voller Musik, Tanz und Bewegung.

Die Wiege der afroperuanischen Kultur liegt an der Pazifikküste. Über die Karibik und Brasilien landeten damals knapp 100.000 afrikanische Sklaven im damaligen spanischen Vizekönigkreich, verschleppt in Schiffen, die „Ataúd“ (Sarg) genannt wurden. Die Kolonialherren brauchten sie als Arbeitskräfte, weil die Zahl der indigenen Bevölkerung durch eingeschleppte Krankheiten, Misshandlungen und härteste Arbeitsbedingungen drastisch gesunken war. Hunderttausende starben in den Minen des Hochlandes und auf den Plantagen an der Küste.  Den Sklaven aus Westafrika erging es nicht anders. Viele hunderte Jahre später, im Jahr 2009, entschuldigte sich Perus damaliger Präsident Alan García offiziell bei der schwarzen Bevölkerung Perus und sagte, dass die Sklaverei „die schrecklichste Ungerechtigkeit in der Geschichte der Menschheit“ sei. Er bat um Verzeihung für die seit Abschaffung der Sklaverei im Jahre 1856 erlittene Ausgrenzung innerhalb der Bevölkerung Perus.

Heute sind die Afroperuaner*innen zwar gleichberechtige Staatsbürger, aufgrund ihrer Hautfarbe aber immer noch mehr oder weniger offenem Rassismus ausgesetzt. Die meisten von ihnen leben in ärmlichen Verhältnissen, der Zugang zu höherer Bildung bleibt ihnen verwehrt. Nur wenige schaffen es durch harte Arbeit, Glück und/oder musikalisches Talent, den Teufelskreis der Armut zu durchbrechen. Einige Initiativen wie „Perú sín discriminación“ (Peru ohne Diskriminierung) oder „Alerta contra el Racismo“ (in etwa: keine Chance für Rassismus) setzen sich gezielt für die Rechte der Betroffenen ein, es gibt Anti-Diskriminierungsgesetze, aber bis heute ist Peru ein Land mit einem stark ausgeprägten Klassensystem, in dem viele weiße Menschen viel besitzen und leiten (Unternehmen, Immobilien, Geld) und schwarze Menschen ausführen und bedienen (als Busfahrer, Haushälterinnen, Arbeiter).

Festival Internacional del Cajón Peruano

Festival Internacional del Cajón Peruano

Aber zurück zur Musik. Damals hatten die Sklaven ihre Musik und ihre Trommeln mitgebracht nach Peru, ein wichtiges Element in der Gemeinschaft der Afroperuaner*innen. Als die Sklavenbesitzer ihnen die Trommeln wegnahmen, weil sie als Kommunikationsmittel mit den afrikanischen Göttern schief beäugt wurden, mussten Transportkisten für Fische oder Orangen als Ersatz herhalten, Vorläufer der heutigen Cajones (Holzkisten). Der Cajón ist heute das zentrale Instrument in der afroperuanischen Musik, auf dem sitzend mit den Händen getrommelt wird. Manchmal werden auch Cencerros, eine Art Kuhglocke als Instrument verwendet, Gitarren, Löffel, ein Schrapidiophon (ein Flaschenkürbis mit Rillen, über den man mit einem Stock reibt) oder auch der Kieferknochen eines Esels (siehe Bild ganz oben),

Afroperuanische Musik begann im Verborgenen, vor allem in den Palenques, informellen Gemeinschaften, die von geflüchteten Schwarzen gegründet wurden. Lange wurde die afroperuanische Musik mit kreolischer Musik (música criolla) gleichgesetzt, die europäische Walzer- und Polkaelemente des 19. Jahrhunderts mit neueren Stilformen wie Tango, Bossanova und Jazz verband. Erst in den 1950er Jahren gelang es den afroperuanischen Musiker*innen, eine eigenständige Musikszene zu gestalten. Die Geschwister Victoria und Nicomedes Santa Cruz haben mit ihrem politischen Kampf für die Anerkennung der afroperuanischen Musik wesentlich dazu beigetragen, dass die „Cultura Negra“ in dieser Zeit wieder aufblühen konnte. Die heute bekannteste Vertreterin afroperuanischer Musik ist die Sängerin Susana Baca, die 2002 den Grammy Latino gewann und 2011 unter der Regierung Humalas zur Kulturministerin des Landes ernannt wurde. Manche kennen sie vielleicht aus dem Musikvideo „Latinoamérica“ der puerto-ricanischen Band Calle 13, einem sagenhaft schönen Lied / Video. Hier könnt ihr es anschauen, für wenig-Spanisch-Sprechende extra mit Untertiteln 🙂

Und hier noch ein Video von einer der bekanntesten und ältesten (gegründet 1969) afroperuanischen Gruppen, Perú Negro