Was vom Leuchtenden Pfad übrig blieb

In Peru gibt es eine Tür zu einem Zimmer, die ist fest verschlossen. Die Menschen im Land wissen, dass es das Zimmer gibt, sie kennen die Geister, die darin herumspuken und die Geschichten, die sich darin abgespielt haben. In diesem Zimmer hat der peruanische Bürgerkrieg stattgefunden. Die 20 Jahre zwischen 1980 und 2000, als die maoistische Guerillagruppe Sendero Luminoso (Leuchtender Pfad) gegen das Militär kämpfte, Unschuldige folterte und verschwinden ließ und über 70.000 Menschen starben, vor allem Angehörige der Quechua-sprachigen Landbevölkerung.

Peru trägt eine offene Wunde mit sich herum, die noch lange nicht verheilt ist. Seine Bewohner eilen geschäftig hin und her, sie haben zu tun, sie kurbeln die Wirtschaft an, indem sie die Berge und die Erde durchwühlen auf der Suche nach Gold und Silber und Erdöl, sie exportieren und „entwickeln sich“, man spricht von Peru jetzt als Schwellenland, die Menschen bauen hohe Häuser und drücken sich die Nasen platt an den Schaufenstern der gläsernen Konsumpaläste. Opfer und Täter wollen vergessen und die blutigen Jahre hinter sich lassen.

Aber die Wunde eitert. Die Geister im Zimmer spuken.

Im Film “Magallanes” (Regisseur Salvador del Solar), der gerade im Kino läuft, setzt sich die Vergangenheit eines Tages einfach ins Taxi.

Es ist die Geschichte eines gealterten Taxifahrers (Damián Alcázar), Magallanes sein Name. Er war Gehilfe eines gefürchteten Militäroffiziers auf Regierungsseite in den blutigsten Tagen des bewaffneten Konflikts in Peru. Heute bessert er sein mageres Taxigehalt mit täglichen Ausflügen für einen senilen Herrn auf. Dieser Greis ist der einst gefürchtete Colonel. Er hielt damals ein indigenes Mädchen, die 13-jährige Celina, als Sexsklavin in seinem Zimmer, über ein Jahr lang.

Als eben jene Celina (Magaly Solier, bekannt aus dem Film „La Teta Asustada“, der 2010 für den Oscar nominiert war) eines Tages in das Taxi von Magallanes steigt, wirft es diesen schlagartig zurück in die Zeit des Bürgerkriegs, als er die rechte Hand des Colonels war, aber auch Celina liebte. Damals verhalf er Celina zur Flucht. Heute lebt die scheue Frau mit ihrem behinderten Sohn in einem Armenviertel in Lima und führt einen Friseursalon, der nichts einbringt. Magallanes will das Geschehene wieder gut machen. Mittels eines Fotos, das den Colonol mit dem Mädchen zeigt, will er den wohlhabenden Sohn des Colonels erpressen und das Geld Celina geben. magallanesIn der Geschichte brechen Wunden auf, werden Türen aufgerissen, die verschlossen bleiben sollten. Es ist markerschütternd, als Celina am Ende des Films auf der Polizeistation vom Spanischen ins Quechua wechselt. In ihrer Muttersprache schleudert sie all ihre Wut hinaus über das, was man ihr angetan hat, die Trauer über ihre Eltern, die sie nie wiedergesehen hat, das Trauma, das bleibt. Es gibt keine Untertitel für diese Szene. Die Wörter ergießen sich in einem Schwall über den Zuschauer. Sie gehen ins Mark, auch wenn man sie nicht versteht. Weil man sie nicht versteht. Weil man nur ahnen kann, wie sich diese über Jahrhunderte manifestierte Ungerechtigkeit, Herablassung, Gewalt gegenüber den Pueblos Indigenas von den Betroffenen anfühlt. Was wissen denn die Mittelschichts-Limenos über ihre Mitmenschen aus dem Hochland? Sie sprechen ihre Sprache nicht, sie verstehen ihre Weltanschauung nicht, ihren Bezug zu Pacha Mama (Mutter Erde) und Mama Llacu (Mutter Wasser). Es prallen zwei Welten aufeinander in dieser Szene. Am Ende gehen sie getrennter Wege. 

Die Kommunistische Partei Perus – auf dem Leuchtenden Pfad José Carlos Mariáteguis (bekannter unter dem Namen Leuchtender Pfad – Sendero Luminoso) war Ende der 1960er aus einer Studentenbewegung an der Universität San Cristóbal de Huamanga in Ayacucho entstanden. Sein Gründer und Anführer, der Philosophieprofessor Abimael Guzmán, hatte Ende der 1960er Jahre das China der Kulturrevolution bereist und begann unter diesem Vorbild, Anhänger unter den Studenten zu sammeln. Sein politisches Ziel war der völlige Umsturz der bestehenden Gesellschaftsordnung, eine Kulturrevolution nach maoistischem Vorbild. Cartel-propagandistico-Sendero-Luminoso-Google_CYMIMA20150602_0009_16Ayacucho war damals eine der ärmsten Provinzen Perus. Bei der überwiegend indigenen Bevölkerung weckte Guzmán anfangs Hoffnungen auf eine Besserung der Lebensverhältnisse. Im Jahr 1980 rief der Sendero Luminoso zum Wahlboykott auf und erklärte den bewaffneten Kampf. Zuerst verbrannten sie die Wahlurnen in einem kleinen Dorf in der Nähe von Ayacucho, dann folgen Überfälle auf Polizeistationen und Dörfer. 1982 rief die Regierung in der Provinz den Ausnahmezustand aus und schickte das Militär in die Region.

Abimaél Guzmán und seine Anhänger waren in ihrer Ideologie und Praxis extrem radikal auf eine Weise, die es in Lateinamerika so vorher nicht gegeben hatte. Guzmán, der sich Presidente Gonzalo nannte oder „Das vierte Schwert der Weltrevolution“ (nach Marx, Lenin und Mao), verlangte absolute Unterwerfung unter seine Führung. Obwohl viele Kader des Sendero bäuerlicher Abstammung waren, nahm er auf indigene Traditionen keine Rücksicht. Stattdessen verlangte er von den Bauern bedingungslose Unterstützung. sendero-luminosoDie Senderisten rekrutierten in den von ihnen kontrollierten Gebieten oft unter Gewaltandrohung Kämpfer aus der Bevölkerung. Für die Armee galt daher bald jeder Bauer im Hochland als potenzieller Terrorist. Sowohl die Guerilleros als auch das Militär bestraften die Zusammenarbeit der Dorfbewohner mit dem jeweiligen Gegner. In den abgelegenen Regionen des Berglandes kam es zu zahlreichen Massakern an der mehrheitlich indigenen Landbevölkerung.

Die Menschen flohen in Massen aus den betroffenen Regionen nach Lima. In den 1990er Jahren kamen jährlich mehr als 200.000 Menschen in die Hauptstadt. Sendero_LuminosoHier kontrollierten die Senderisten mit einem dichten Spitzel- und Sympathisantennetz die Elendsviertel, verübten Bombenanschläge und ermordeten Aktivisten anderer linker Organisationen. Im Jahr 1990 war der Sendero Luminoso in der Hälfte des Landes aktiv. Die Situation der damaligen Zeit beschreibt der Roman „Tod in den Anden“ des peruanischen Schriftstellers Mario Vargas Llosa, der 1990 bei der Präsidentenwahl Alberto Kenya Fujimori unterlag. Fujimori regierte von 1990 bis 2000 und wurde schließlich wegen Korruption und Verletzung der Menschenrechte seines Amtes enthoben. Heute sitzt er im Gefängnis. Seine Tochter Keiko kandidiert derzeit für die Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr. Sie hat gute Chancen, gewählt zu werden. Man fragt sich ernsthaft, wie sie so weit kommen konnte. 

Auch wenn der Krieg längst vorbei ist – die Auswirkungen sind bis heute zu spüren. Manche haben nie das Ende des Bewaffneten Konflikts erlebt. Ende Juli befreite die Armee über 50 Geiseln aus den Händen der Rebellen, darunter viele Frauen und Kinder, die aus Vergewaltigungen hervorgegangen sind. Manche Frauen hatten 25 Jahre in Gefangenschaft verbracht. 

Für die Lateinamerika Nachrichten habe ich über die jüngste Geiselbefreiung einen Artikel geschrieben, HIER könnt ihr ihn als pdf herunterladen und lesen.

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