Mit meiner Mutter ein paar Tage in Cuzco. Dunkelblauer Himmel über braun verbrannten Bergen. Herzklopfen in 3400 Meter über dem Meer. Mate de Coca schlürfen. Wuchtige Kirchen. Noch wuchtigere Inkasteine, millimetergenau ineinandergefügt. Mütterchen mit bunten Röcken und Filzhüten, die Kinder im Tuch auf dem Rücken. Kopfsteinpflastergetrappel. Touristenscharen wie Erdmännchenrudel, links schauen, rechts schauen, hoch schauen. Läden voller bunter Stoffe. Palo Santo weht vorüber, es riecht nach Weihrauch. Fliegende Händler bieten Walking Sticks, Teleskopstangen fürs Smartphone und Moskityspray an für die Reisenden nach Machu Picchu, es wird einem an nichts fehlen auf dem Weg dorthin.
Früher war Q’osco (Quechua für „Nabel der Welt“) das Zentrum des gewaltigen Inkareiches, das sich von Kolumbien und Ecuador über Peru bis ins nördliche Chile und Argentinien erstreckte, ein Gebiet so groß wie vom Nordkap bis nach Sizilien. Tawantinsuyu, das Reich der vier Weltgegenden: Antisuyu (Osten), Chinchaysuyu (Norden), Kuntisuyu (Westen) und Qullasuyu (Süden). Die Inka bauten ein dichtes Netz aus gepflasterten Straßen, kommunizierten über ein ausgeklügeltes System von Knotenschnüren (Quipus) und beteten die Sonne (Inti) an. In der Blütezeit der Inka glänzte die Stadt voller Gold. Dann kamen die Spanier mit Francisco Pizarro. 1533 marschierten sie in Cuzco ein, töteten die Inkaherrscher, zerstörten ihre Tempel und bauten auf deren Grundmauern wuchtige Kirchen. Sie ließen fast alles Gold und Silber herbeikarren, einschmelzen und nach Europa verschiffen. Die Bevölkerung Cuzcos starb in Scharen durch eingeschleppte Krankheiten.
Nach den wüsten Jahren der Eroberung verfiel Cuzco in einen Dornröschenschlaf. Die spanischen Kolonialherren verlagerten ihre Aktivitäten an die Pazifikküste, künftig wurden Geschäfte und Politik von Lima aus geregelt. Am ehemaligen Nabel der Welt wurde es ruhig. Manchmal gab es Aufstände der Bevölkerung gegen die Kolonialherrschaft, manchmal gab es Erdbeben, irgendwann feierte Peru die Unabhängigkeit von Spanien. Dann stießen Forscher 1911 auf die mysthische Inkafestung Machu Picchu, überwuchert vom Urwald. Und Cuzco erwachte. Nachdem die Stadt lange Zeit nur mit Bussen oder der Eisenbahn über Arequipa und den Titicacasee erreichbar gewesen war, kamen mit den ersten Flugzeugen immer mehr Touristen. Anfangs ein paar Hundert, dann Tausende. Ende der 1980er waren es 70.000 pro Jahr. 2011, im Jahr des 100. Jahrestags der Wiederentdeckung des „Alten Gipfels“ (Quechua für Machu Picchu) kraxelten 900.000 Menschen in den Ruinen herum. Cuzco ist heute der Nabel der Touristen-Welt in Peru.
Statt uns den Massen anzuschließen, die am Feiertagswochenende zum Machu Picchu strömen, wandern meine Mutter und ich zu den Salzterrassen von Maras und fahren weiter nach Ollantaytambo. Vor 10 Jahren war ich schon einmal hier und verlor mich in den Gassen des kopfsteingepflasterten Dorfes, das wie aus der Zeit gefallen schien. Wir klettern zur Ruine auf dem Berg Pinkuylluna hinauf, in der ich damals mit meinem Reisebegleiter und zwei Kindern aus dem Dorf gesessen hatte. Als ich auf Ollantaytambo herunterblicke, verschmelzen Vergangenheit und Gegenwart. Was ist Zeit, frage ich mich. War ich jemals woanders als hier? Es fühlt sich gut an, da oben zu sitzen, der Himmel spannt sich weit und blau über den Bergen. Irgendwann steigen wir wieder herunter. In der Ferne hören wir das Tuten des Machu-Picchu-Touristenzugs im Urubamba-Tal. Es klingt wie ein trauriger Lockruf. Dann fahren wir zurück nach Cuzco.
Cusco 2015 & 2005 (re.)